Stellenkommentar EH Zarathustra, KSA 6, S. 342-343 567
Doktor Faustus findet nach Thomas Mann „die Verflechtung der Tragödie" des
genialen Musikers Leverkühn mit derjenigen N.s statt, „dessen Name wohl-
weislich in dem ganzen Buch nicht erscheint, eben weil der euphorische Musi-
ker an seine Stelle gesetzt ist, so daß es ihn nun nicht mehr geben darf" (Mann
2009a, 19.1, 431). Für die N.-Figur Adrian Leverkühn verwendete Mann dabei
im Besonderen EH als Quelle (vgl. ebd., 431, 574), dessen Erstausgabe er besaß
(Lehnert 2009, 634). So lieferte N.s „fast schon hemmungslose[s] Spätwerk"
(Mann 2009b, 19.1, 192) die Vorlage u. a. für das Teufelsgespräch (vgl. NK 339,
9-21) und die Schlussabschnitte des Doktor Faustus: Dem geistig umnachteten
Leverkühn wird am Ende des Romans sogar ein „Ecce homo-Antlitz" zugespro-
chen (Mann 2007, 10.1, 736). Zur N.-Rezeption im Doktor Faustus vgl. z. B. Pütz
1978, 143-145 und 148-154, Meyer 1993, 356-360, Joseph 1998, Sommer 1998c
und Wimmer 2007.
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343, 7-15 und 19-21 Dass ein Goethe, ein Shakespeare nicht einen Augenblick
in dieser ungeheuren Leidenschaft und Höhe zu athmen wissen würde, dass
Dante, gegen Zarathustra gehalten, bloss ein Gläubiger ist und nicht Einer, der
die Wahrheit erst schafft, ein weltregierender Geist, ein Schicksal —, dass
die Dichter des Veda Priester sind und nicht einmal würdig, die Schuhsohlen
eines Zarathustra zu lösen, das ist Alles das Wenigste und giebt keinen Begriff
von der Distanz, von der azurnen Einsamkeit, in der dies Werk lebt. [...] Man
rechne den Geist und die Güte aller grossen Seelen in Eins: alle zusammen wären
nicht im Stande, Eine Rede Zarathustras hervorzubringen.] Der „Nietzsche-
Adept" (Meyer 1993, 338) Thomas Mann weist N.s Selbstapotheose zurück,
wenn er in diesen Äußerungen „hektische, von entgleitender Vernunft zeu-
gende Ausschreitungen des Selbstbewußtseins" sieht und bemerkt: „Natürlich
muß es ein großer Genuß sein, dergleichen niederzuschreiben, aber ich finde
es unerlaubt. Übrigens mag es sein, daß ich nur meine eigenen Grenzen fest-
stelle, wenn ich weitergehe und bekenne, daß mir überhaupt das Verhältnis
Nietzsches zu dem Zarathustra-Werk dasjenige blinder Überschätzung zu sein
scheint. Es ist, dank seiner biblischen Attitüde, das ,populärste' seiner Bücher
geworden, aber es ist bei Weitem nicht sein bestes Buch. [...] Dieser gesicht-
und gestaltlose Unhold und Flügelmann Zarathustra mit der Rosenkrone des
Lachens auf dem unkenntlichen Haupt, seinem ,Werdet hart!' und seinen Tän-
zerbeinen ist keine Schöpfung; er ist Rhetorik, erregter Wortwitz, gequälte
Stimme und zweifelhafte Prophetie, ein Schemen von hilfloser Grandezza, oft
rührend und allermeist peinlich — eine an der Grenze des Lächerlichen
Doktor Faustus findet nach Thomas Mann „die Verflechtung der Tragödie" des
genialen Musikers Leverkühn mit derjenigen N.s statt, „dessen Name wohl-
weislich in dem ganzen Buch nicht erscheint, eben weil der euphorische Musi-
ker an seine Stelle gesetzt ist, so daß es ihn nun nicht mehr geben darf" (Mann
2009a, 19.1, 431). Für die N.-Figur Adrian Leverkühn verwendete Mann dabei
im Besonderen EH als Quelle (vgl. ebd., 431, 574), dessen Erstausgabe er besaß
(Lehnert 2009, 634). So lieferte N.s „fast schon hemmungslose[s] Spätwerk"
(Mann 2009b, 19.1, 192) die Vorlage u. a. für das Teufelsgespräch (vgl. NK 339,
9-21) und die Schlussabschnitte des Doktor Faustus: Dem geistig umnachteten
Leverkühn wird am Ende des Romans sogar ein „Ecce homo-Antlitz" zugespro-
chen (Mann 2007, 10.1, 736). Zur N.-Rezeption im Doktor Faustus vgl. z. B. Pütz
1978, 143-145 und 148-154, Meyer 1993, 356-360, Joseph 1998, Sommer 1998c
und Wimmer 2007.
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343, 7-15 und 19-21 Dass ein Goethe, ein Shakespeare nicht einen Augenblick
in dieser ungeheuren Leidenschaft und Höhe zu athmen wissen würde, dass
Dante, gegen Zarathustra gehalten, bloss ein Gläubiger ist und nicht Einer, der
die Wahrheit erst schafft, ein weltregierender Geist, ein Schicksal —, dass
die Dichter des Veda Priester sind und nicht einmal würdig, die Schuhsohlen
eines Zarathustra zu lösen, das ist Alles das Wenigste und giebt keinen Begriff
von der Distanz, von der azurnen Einsamkeit, in der dies Werk lebt. [...] Man
rechne den Geist und die Güte aller grossen Seelen in Eins: alle zusammen wären
nicht im Stande, Eine Rede Zarathustras hervorzubringen.] Der „Nietzsche-
Adept" (Meyer 1993, 338) Thomas Mann weist N.s Selbstapotheose zurück,
wenn er in diesen Äußerungen „hektische, von entgleitender Vernunft zeu-
gende Ausschreitungen des Selbstbewußtseins" sieht und bemerkt: „Natürlich
muß es ein großer Genuß sein, dergleichen niederzuschreiben, aber ich finde
es unerlaubt. Übrigens mag es sein, daß ich nur meine eigenen Grenzen fest-
stelle, wenn ich weitergehe und bekenne, daß mir überhaupt das Verhältnis
Nietzsches zu dem Zarathustra-Werk dasjenige blinder Überschätzung zu sein
scheint. Es ist, dank seiner biblischen Attitüde, das ,populärste' seiner Bücher
geworden, aber es ist bei Weitem nicht sein bestes Buch. [...] Dieser gesicht-
und gestaltlose Unhold und Flügelmann Zarathustra mit der Rosenkrone des
Lachens auf dem unkenntlichen Haupt, seinem ,Werdet hart!' und seinen Tän-
zerbeinen ist keine Schöpfung; er ist Rhetorik, erregter Wortwitz, gequälte
Stimme und zweifelhafte Prophetie, ein Schemen von hilfloser Grandezza, oft
rührend und allermeist peinlich — eine an der Grenze des Lächerlichen