606 Ecce homo. Wie man wird, was man ist
362, 22 verlebt] Danach sollte nach Angaben Elisabeth Förster-N.s der soge-
nannte Paraguay-Zettel (dazu auch Hahn / Montinari 1985, 83-85) wiedergege-
ben werden, der jedoch lediglich in einer Abschrift der Schwester erhalten ist.
Darauf steht: „[Hinweis für den Leipziger Setzer:] einzuschieben im Capitel:
,Der Fall Wagner' Paragraph 4 nach den Worten: ,Rechne ich meinen Verkehr
mit einigen Künstlern, vor Allem mit Richard Wagner ab, so habe ich keine
gute Stunde mit Deutschen verlebt...' / Soll ich denn meine ,deutschen' ^se
widerspruchsvollen- 1Erfahrungen verrathen? — Förster: lange Beine, blaue
Augen blond (Strohkopf!) ,Rassendeutscher', mit Gift und Galle gegen Alles
anrennend, was Geist und Zukunft verbürgt: Judenthum, Vivisection usw. —
aber meine Schwester verläßt seinetwegen ihre ,Nächsten' und stürzt sich in
eine Welt voller Gefahren und böser Zufälle. — Köselitz: sächsisch schmeichle-
risch, zuweilen Tolpatsch, nicht von der Stelle zu bringen, eine Verkörperung
des Gesetzes der Schwere — aber seine Musik ist ersten Ranges und läuft auf
leichten Füßen. — Overbeck: vertrocknet, versauert, seinem Weibe unterthan,
reicht mir wie Mime den vergifteten Trunk des Zweifels und des Mißtrauens
gegen mich selbst — aber er zeigt sich wohlwollend um mich besorgt und
nennt sich meinen ,nachsichtigen Freund'. — Seht sie euch an, — das sind drei
deutsche Typen! Canaillen!... Und gesetzt, daß der tiefste Geist aller Jahrtau-
sende unter Deutschen erschiene -" (KSA 14, 506 f.).
Der „Paraguay-Zettel" wurde von den Herausgebern der KGW und KSA
nicht in den Text von EH aufgenommen, und zwar einerseits, weil keine Hand-
schrift N.s überliefert ist, die seine Authentizität und Vollständigkeit belegt,
und andererseits, weil man nahezu mit Gewissheit annehmen könne, dass N.
schließlich selbst auf die Einfügung dieses (oder eines ähnlichen) Texts ver-
zichtet habe (KSA 14, 507). In Podachs N.-Ausgabe wurde der „Paraguay-Zettel"
in kleinerem Druck wiedergegeben (Podach 1961, 314); diese Vorgehensweise
kritisiert Champromis 1965, 260 mit Nachdruck: „Man kann doch nicht ernst-
haft einen Text als angeblich von Nietzsche geschrieben veröffentlichen, von
dem außer der Schwester vielleicht kein Mensch jemals das Original zu Gesicht
bekommen hat (und man kann es um so weniger, als man weiß, was sich die
Schwester mit Nietzsches Korrespondenz alles geleistet hat.)" Podach hatte
demgegenüber argumentiert, dass das, was „auf dem Zettel steht, [...] durchaus
das Produkt der in bestimmten Phasen des Ecce homo übersteigerten Gereizt-
heit Nietzsches gegenüber seinen Angehörigen und Freunden" sein könnte
(Podach 1961, 199).
Obwohl N.s Schwester schwerlich in der Lage gewesen sein dürfte, den
Text des Paraguay-Zettels frei zu erfinden, so hätte sie dennoch nach ihrer
gewohnten Fälschungsmethode an einem ihr vorliegenden Originaltext gezielt
Worte oder Sätze unterschlagen, verändern oder einfügen können. Dass sie
362, 22 verlebt] Danach sollte nach Angaben Elisabeth Förster-N.s der soge-
nannte Paraguay-Zettel (dazu auch Hahn / Montinari 1985, 83-85) wiedergege-
ben werden, der jedoch lediglich in einer Abschrift der Schwester erhalten ist.
Darauf steht: „[Hinweis für den Leipziger Setzer:] einzuschieben im Capitel:
,Der Fall Wagner' Paragraph 4 nach den Worten: ,Rechne ich meinen Verkehr
mit einigen Künstlern, vor Allem mit Richard Wagner ab, so habe ich keine
gute Stunde mit Deutschen verlebt...' / Soll ich denn meine ,deutschen' ^se
widerspruchsvollen- 1Erfahrungen verrathen? — Förster: lange Beine, blaue
Augen blond (Strohkopf!) ,Rassendeutscher', mit Gift und Galle gegen Alles
anrennend, was Geist und Zukunft verbürgt: Judenthum, Vivisection usw. —
aber meine Schwester verläßt seinetwegen ihre ,Nächsten' und stürzt sich in
eine Welt voller Gefahren und böser Zufälle. — Köselitz: sächsisch schmeichle-
risch, zuweilen Tolpatsch, nicht von der Stelle zu bringen, eine Verkörperung
des Gesetzes der Schwere — aber seine Musik ist ersten Ranges und läuft auf
leichten Füßen. — Overbeck: vertrocknet, versauert, seinem Weibe unterthan,
reicht mir wie Mime den vergifteten Trunk des Zweifels und des Mißtrauens
gegen mich selbst — aber er zeigt sich wohlwollend um mich besorgt und
nennt sich meinen ,nachsichtigen Freund'. — Seht sie euch an, — das sind drei
deutsche Typen! Canaillen!... Und gesetzt, daß der tiefste Geist aller Jahrtau-
sende unter Deutschen erschiene -" (KSA 14, 506 f.).
Der „Paraguay-Zettel" wurde von den Herausgebern der KGW und KSA
nicht in den Text von EH aufgenommen, und zwar einerseits, weil keine Hand-
schrift N.s überliefert ist, die seine Authentizität und Vollständigkeit belegt,
und andererseits, weil man nahezu mit Gewissheit annehmen könne, dass N.
schließlich selbst auf die Einfügung dieses (oder eines ähnlichen) Texts ver-
zichtet habe (KSA 14, 507). In Podachs N.-Ausgabe wurde der „Paraguay-Zettel"
in kleinerem Druck wiedergegeben (Podach 1961, 314); diese Vorgehensweise
kritisiert Champromis 1965, 260 mit Nachdruck: „Man kann doch nicht ernst-
haft einen Text als angeblich von Nietzsche geschrieben veröffentlichen, von
dem außer der Schwester vielleicht kein Mensch jemals das Original zu Gesicht
bekommen hat (und man kann es um so weniger, als man weiß, was sich die
Schwester mit Nietzsches Korrespondenz alles geleistet hat.)" Podach hatte
demgegenüber argumentiert, dass das, was „auf dem Zettel steht, [...] durchaus
das Produkt der in bestimmten Phasen des Ecce homo übersteigerten Gereizt-
heit Nietzsches gegenüber seinen Angehörigen und Freunden" sein könnte
(Podach 1961, 199).
Obwohl N.s Schwester schwerlich in der Lage gewesen sein dürfte, den
Text des Paraguay-Zettels frei zu erfinden, so hätte sie dennoch nach ihrer
gewohnten Fälschungsmethode an einem ihr vorliegenden Originaltext gezielt
Worte oder Sätze unterschlagen, verändern oder einfügen können. Dass sie