Stellenkommentar EH Schicksal, KSA 6, S. 364-365 611
selbst, ich werde ernst werden müssen. Der Apfel bleibt sauer. Nicht daß an
sich ein Ausgleich für seine Säure fehlte und sogar mehr als ein Ausgleich.
Aber das zu begreifen, müßte man schon gelernt haben, um die Ecke zu
sehn, wie ich es kann —, um nämlich das gelobte Land mit dem Blick vorweg-
zunehmen, zu dem zunächst ein krummer Weg führt, ein Weg durch eine
,Wiese des Unheils', wie mein Freund Empedokles mir eben soufflirt... Wagen
wir es also, einen Augenblick wenigstens und zum Versuch, ernst zu sein: es
bleibt zuletzt bloß eine Sünde wider den guten Geschmack, nicht wider die
Tugend... / 2. / Mitunter wundere ich mich darüber, daß man mich nicht fragt.
Es giebt zum Beispiel ein Paar Gründe zuviel, mich zu fragen, was eigentlich
gerade in meinem Munde, als dem des ersten Immoralisten, der Name
Zarathustra zu bedeuten habe: denn das, was die ungeheure Einzigkeit jenes
vorzeitlichen Persers in der Geschichte ausmacht, ist — Jedermann weiß es —
dazu der strenge Gegensatz. -" (KSA 14, 509 f.) EH Warum ich ein Schick-
sal bin wird von Stegmaier 2008 einer genauen Analyse unterzogen. Bemer-
kenswert ist, dass derjenige, der ein Schicksal ist — nämlich ein Schicksal für
die Welt —, zugleich auch ein Schicksal hat. Das Schicksal dieses Ichs und das
Schicksal seiner Bücher wird in EH erzählt. In dieser Selbsterzählung, die in
anderen Texten präludiert wird, gibt es unentwegt schicksalhafte Momente,
z. B.: „Wagnern den Rücken zu kehren war für mich ein Schicksal" (WA Vor-
wort, KSA 6, 11, 5 f.). Was ein exemplarisches Schicksal hat — nämlich das
sprechende Ich —, soll jetzt für andere, für alle anderen ein Schicksal werden.
1
Eine detaillierte Analyse dieses Abschnittes findet sich bei Langer 2005, 124-
130, die die symmetrische Struktur seines Aufbaus im Dienste der Selbstkonsti-
tution und der Ich-Vergöttlichung als wohlproportioniert ausweist. „Zusam-
menfassend lässt sich festhalten, dass die Selbstvergöttlichung des Ichs am
Ende von Ecce homo unter der Voraussetzung einer Selbstsetzung stattfindet,
die in einem Akt freier Bejahung alle Disparitäten des Lebens unter die Einheit
des Ichs versammelt und alle Heteronomien in Autonomie umwandelt." (Ebd.,
129) Eine Vorarbeit zu diesem Abschnitt findet sich in NL 1888, KSA 13, 25[6]1,
639 f. Meyer 2005 reflektiert das Verhältnis von Selbstvergöttlichung und
Selbstverhöhnung in EH.
365, 7 f. Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.] Zum anarchistischen Assoziati-
onshorizont der Dynamitmetapher vgl. NK KSA 6, 132, 17 und 252, 28, zur Inter-
pretation Scheier 1991 u. Stegmaier 2008, 78-80. „Es giebt mehr Dynamit zwi-
schen (Himm)el und Erde als diese gepurpurten Idioten sich träumen lassen..."
selbst, ich werde ernst werden müssen. Der Apfel bleibt sauer. Nicht daß an
sich ein Ausgleich für seine Säure fehlte und sogar mehr als ein Ausgleich.
Aber das zu begreifen, müßte man schon gelernt haben, um die Ecke zu
sehn, wie ich es kann —, um nämlich das gelobte Land mit dem Blick vorweg-
zunehmen, zu dem zunächst ein krummer Weg führt, ein Weg durch eine
,Wiese des Unheils', wie mein Freund Empedokles mir eben soufflirt... Wagen
wir es also, einen Augenblick wenigstens und zum Versuch, ernst zu sein: es
bleibt zuletzt bloß eine Sünde wider den guten Geschmack, nicht wider die
Tugend... / 2. / Mitunter wundere ich mich darüber, daß man mich nicht fragt.
Es giebt zum Beispiel ein Paar Gründe zuviel, mich zu fragen, was eigentlich
gerade in meinem Munde, als dem des ersten Immoralisten, der Name
Zarathustra zu bedeuten habe: denn das, was die ungeheure Einzigkeit jenes
vorzeitlichen Persers in der Geschichte ausmacht, ist — Jedermann weiß es —
dazu der strenge Gegensatz. -" (KSA 14, 509 f.) EH Warum ich ein Schick-
sal bin wird von Stegmaier 2008 einer genauen Analyse unterzogen. Bemer-
kenswert ist, dass derjenige, der ein Schicksal ist — nämlich ein Schicksal für
die Welt —, zugleich auch ein Schicksal hat. Das Schicksal dieses Ichs und das
Schicksal seiner Bücher wird in EH erzählt. In dieser Selbsterzählung, die in
anderen Texten präludiert wird, gibt es unentwegt schicksalhafte Momente,
z. B.: „Wagnern den Rücken zu kehren war für mich ein Schicksal" (WA Vor-
wort, KSA 6, 11, 5 f.). Was ein exemplarisches Schicksal hat — nämlich das
sprechende Ich —, soll jetzt für andere, für alle anderen ein Schicksal werden.
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Eine detaillierte Analyse dieses Abschnittes findet sich bei Langer 2005, 124-
130, die die symmetrische Struktur seines Aufbaus im Dienste der Selbstkonsti-
tution und der Ich-Vergöttlichung als wohlproportioniert ausweist. „Zusam-
menfassend lässt sich festhalten, dass die Selbstvergöttlichung des Ichs am
Ende von Ecce homo unter der Voraussetzung einer Selbstsetzung stattfindet,
die in einem Akt freier Bejahung alle Disparitäten des Lebens unter die Einheit
des Ichs versammelt und alle Heteronomien in Autonomie umwandelt." (Ebd.,
129) Eine Vorarbeit zu diesem Abschnitt findet sich in NL 1888, KSA 13, 25[6]1,
639 f. Meyer 2005 reflektiert das Verhältnis von Selbstvergöttlichung und
Selbstverhöhnung in EH.
365, 7 f. Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.] Zum anarchistischen Assoziati-
onshorizont der Dynamitmetapher vgl. NK KSA 6, 132, 17 und 252, 28, zur Inter-
pretation Scheier 1991 u. Stegmaier 2008, 78-80. „Es giebt mehr Dynamit zwi-
schen (Himm)el und Erde als diese gepurpurten Idioten sich träumen lassen..."