Stellenkommentar EH Schicksal, KSA 6, S. 365 613
ist bis in die Wahl der Metaphern hinein eine Parallelaktion zur christlichen
Apokalyptik.
365, 11 f. ich denke, ich bin zu boshaft dazu, um an mich selbst zu glauben] Die
Frage ist, in welcher Weise der Text dann bei seinen Lesern den Glauben an
das sprechende Ich als weltgeschichtlichem Wendepunkt oder als „Hanswurst"
(365, 17 f.) erzeugen will, wenn es sich den Glauben an sich selbst versagt und
damit die eigene weltgeschichtliche Einzigartigkeit ironisch hintertreibt: „Ich
will keine ,Gläubigen"' (365, 11) ist als Bekenntnis deutlich genug.
365, 13-16 Ich habe eine erschreckliche Angst davor, dass man mich eines Tags
heilig spricht: man wird errathen, weshalb ich dies Buch vorher herausgebe,
es soll verhüten, dass man Unfug mit mir treibt...] Bekanntlich konnte N. Ecce
homo nicht herausbringen, bevor er von seiner Schwester kanonisiert wurde.
N. stand bereits auf dem Piedestal eines säkularen Heiligen, als Elisabeth Förs-
ter-N. 1908 die Publikation einer purgierten Fassung von EH zuließ.
365, 16-18 Ich will kein Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst... Vielleicht bin
ich ein Hanswurst...] Vgl. NK KSA 6, 70, 6 f. Auf die „Fallhöhe" in den Selbstbe-
schreibungsvorschlägen dieses Abschnitts von „Krisis, wie es keine auf Erden
gab" (365, 5) bis „Hanswurst" (365, 17) weist Langer 2005, 124 hin, um die
dahinterstehende rhetorische Strategie des Erwartungsaufbaus und der Erwar-
tungsschwächung zu analysieren. In seinem Brief an Ferdinand Avenarius vom
10. 12. 1888 (KSB 8, Nr. 1183, S. 516 f., Z. 5-13) führte N. aus, was er sich näher-
hin unter seiner Hanswurst-Existenz vorstellte: „In diesem Jahre, wo eine unge-
heure Aufgabe, die Umwertung aller Werte, auf mir liegt und ich, wört-
lich gesagt, das Schicksal der Menschen zu tragen habe, gehört es zu meinen
Beweisen der Kraft, in dem Grade Hanswurst, Satyr oder, wenn Sie es vorzie-
hen, ,Feuilletonist' zu sein, — sein zu können, wie ich es im ,Fall Wagner'
gewesen bin. Daß der tiefste Geist auch der frivolste sein muß, das ist beinahe
die Formel für meine Philosophie". Diesen äußersten Gegensatz zwischen
Hanswurst und Menschheitsschicksal leben zu können, galt N. als „Beweis der
Kraft", als Beweis für die Singularität seiner Person und ihres Vermögens. Vgl.
NK KSA 6, 413, 1.
365, 21-24 Umwerthung aller Werthe: das ist meine Formel für einen
Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit, der in mir Fleisch und Genie
geworden ist.] N. hat AC schließlich als ganze „Umwerthung aller Werthe" ver-
standen wissen wollen, siehe NK ÜK AC, ferner NK 355, 17 f. u. 356, 8 f. Dass
dieses Wort in N. als Person „Fleisch [...] geworden" ist, unterstreicht die in
EH Warum ich ein Schicksal bin 1 geltend gemachten messianischen Aspiratio-
nen: Nach Johannes 1, 14 ist es der Logos, der in Christus Fleisch geworden
ist. Zur Interpretation siehe Moraes Barros 2005 u. Siemens 2009.
ist bis in die Wahl der Metaphern hinein eine Parallelaktion zur christlichen
Apokalyptik.
365, 11 f. ich denke, ich bin zu boshaft dazu, um an mich selbst zu glauben] Die
Frage ist, in welcher Weise der Text dann bei seinen Lesern den Glauben an
das sprechende Ich als weltgeschichtlichem Wendepunkt oder als „Hanswurst"
(365, 17 f.) erzeugen will, wenn es sich den Glauben an sich selbst versagt und
damit die eigene weltgeschichtliche Einzigartigkeit ironisch hintertreibt: „Ich
will keine ,Gläubigen"' (365, 11) ist als Bekenntnis deutlich genug.
365, 13-16 Ich habe eine erschreckliche Angst davor, dass man mich eines Tags
heilig spricht: man wird errathen, weshalb ich dies Buch vorher herausgebe,
es soll verhüten, dass man Unfug mit mir treibt...] Bekanntlich konnte N. Ecce
homo nicht herausbringen, bevor er von seiner Schwester kanonisiert wurde.
N. stand bereits auf dem Piedestal eines säkularen Heiligen, als Elisabeth Förs-
ter-N. 1908 die Publikation einer purgierten Fassung von EH zuließ.
365, 16-18 Ich will kein Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst... Vielleicht bin
ich ein Hanswurst...] Vgl. NK KSA 6, 70, 6 f. Auf die „Fallhöhe" in den Selbstbe-
schreibungsvorschlägen dieses Abschnitts von „Krisis, wie es keine auf Erden
gab" (365, 5) bis „Hanswurst" (365, 17) weist Langer 2005, 124 hin, um die
dahinterstehende rhetorische Strategie des Erwartungsaufbaus und der Erwar-
tungsschwächung zu analysieren. In seinem Brief an Ferdinand Avenarius vom
10. 12. 1888 (KSB 8, Nr. 1183, S. 516 f., Z. 5-13) führte N. aus, was er sich näher-
hin unter seiner Hanswurst-Existenz vorstellte: „In diesem Jahre, wo eine unge-
heure Aufgabe, die Umwertung aller Werte, auf mir liegt und ich, wört-
lich gesagt, das Schicksal der Menschen zu tragen habe, gehört es zu meinen
Beweisen der Kraft, in dem Grade Hanswurst, Satyr oder, wenn Sie es vorzie-
hen, ,Feuilletonist' zu sein, — sein zu können, wie ich es im ,Fall Wagner'
gewesen bin. Daß der tiefste Geist auch der frivolste sein muß, das ist beinahe
die Formel für meine Philosophie". Diesen äußersten Gegensatz zwischen
Hanswurst und Menschheitsschicksal leben zu können, galt N. als „Beweis der
Kraft", als Beweis für die Singularität seiner Person und ihres Vermögens. Vgl.
NK KSA 6, 413, 1.
365, 21-24 Umwerthung aller Werthe: das ist meine Formel für einen
Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit, der in mir Fleisch und Genie
geworden ist.] N. hat AC schließlich als ganze „Umwerthung aller Werthe" ver-
standen wissen wollen, siehe NK ÜK AC, ferner NK 355, 17 f. u. 356, 8 f. Dass
dieses Wort in N. als Person „Fleisch [...] geworden" ist, unterstreicht die in
EH Warum ich ein Schicksal bin 1 geltend gemachten messianischen Aspiratio-
nen: Nach Johannes 1, 14 ist es der Logos, der in Christus Fleisch geworden
ist. Zur Interpretation siehe Moraes Barros 2005 u. Siemens 2009.