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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0661
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638 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

wir haben die ,wahre Welt' als eine , erlogene Weit' und die Moral als eine
Form der Unmoralität erkannt" (ebd., 322, 8-12, korrigiert nach KGW IX
8, W II 5, 76, 56-58-77, 32).
Die Nachlass-Notizen machen deutlich, dass der Antagonismus von Diony-
sos und dem Gekreuzigten zunächst als ein idealtypisierender, historischer
Antagonismus konzipiert war, der in EH dann aktualisiert und universalisiert
wird. Solche Aktualisierung und Universalisierung lässt sich schließlich bei
den sogenannten Wahnsinnszetteln beobachten, die N. Anfang Januar 1889
an verschiedene Adressaten richtete und wahlweise mit „Dionysos" oder „Der
Gekreuzigte" unterschrieb (KSB 8, Nr. 1234-1255, S. 571-577). Da sind nicht nur
die historischen Differenzen eingeebnet, sondern der systematische Gegensatz
erscheint aufgehoben: Inhaltlich sind keine Unterschiede zwischen den im
Namen des Dionysos und den im Namen des Gekeuzigten abgefassten Briefen
erkennbar — Unterschiede, die jeweils die eine oder die andere Unterschrift
nahegelegt hätten: Dionysos und der Gekreuzigte werden austauschbar. Im
euphorischen Umwertungswillen von N.s letzten bewussten Tagen findet offen-
bar selbst der äußerste Gegensatz von Dionysos und dem Gekreuzigten zu einer
Synthese — in der mittlerweile selbst gänzlich stilisierten Figur Friedrich N.
Dem „gegen" in der Formel „Dionysos gegen den Gekreuzigten" widmete
Schank 1993 eine Monographie, die die Bedeutungsabschattungen dieser Prä-
position bei N. eindringlich beleuchtet.
 
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