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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0680
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Überblickskommentar 657

Schmerzensmann stärker in den Vordergrund: bis hin zur Golgatha-Imagina-
tion, in der das von seinen Selbstreflexionen und Selbstzweifeln zu Tode gepei-
nigte Ich am Galgen hängt, den sich der „Selbstkenner" als „Selbst-
henker" errichtet hat (392, 17 f.). Die Gebrochenheit und Zerrissenheit des
gequälten Ichs drückt sich auch in auffallend häufigen Paradoxien und in Oxy-
mora aus, die nicht nur manieristische Kunstmittel sind. Die Endfassung der
Dionysos-Dithyramben fertigte N. wenige Tage vor seinem endgültigen Zusam-
menbruch Anfang Januar 1889 in Turin an.

3 Zur Wirkungsgeschichte
Da die Erstpublikation von DD als Anhang zur ersten öffentlichen Präsentation
von Za IV erfolgte — und erst noch unvollständig (Nietzsche 1891, siehe oben
ÜK 1) —, wurde die Aufmerksamkeit der ersten Leser stark vom Schlussteil des
angeblichen Hauptwerkes absorbiert. In den zeitgenössischen Rezensionen zu
diesem Band fanden nach der Rekapitulation bei Kr I, 239-243 die DD kaum
Erwähnung. Immerhin wurden die Gedichte und Sprüche, die 1898 zum ersten
Mal die DD vollständig zugänglich machten, in der zeitgenössischen Presse
eingehend besprochen. An der Ausgabe selbst nahm der anonyme Kritiker des
Literarischen Centralblatts vom 1. Oktober 1898 allerdings Anstoß: Es handle
sich um ein „Industrieproduct aus dem Nietzsche-Archiv"; Vor- und Nachwort
schienen als „Parodie gewisser Unarten der Goethephilologie beabsichtigt" (Kr
I, 519). Die Dichtungen selbst thematisierte der Hamburgische Correspondent
am 24. April 1898: Man werde „der genialen Eigenart Nietzsche's nicht früher
gerecht werden [...], als man völlig aufhört, ihn als Propheten der neuen Welt-
anschauung zu nehmen, um ihn allein als subjectiven, individuellen Geist von
Reichthum der Phantasie [...] zu schätzen" (Kr I, 501, der Rezensent war offen-
sichtlich Eugen Wolff, vgl. sehr ähnlich lautend Kr I, 529). Paul Lanzky ver-
stand in seiner Rezension im Deutschen Dichterheim vom Mai 1898 N.s nun
neu zugängliche Dichtungen als „Commentar zu den rein philosophischen
Werken" (Kr I, 504). „So hat in Nietzsche überhaupt der Philosoph den Dichter
ergänzt und widerlegt. In jenem finden wir, was er im allgemeinen und für
sich selber erreichen wollte; in diesem, was er als Mensch litt." (Ebd.).
Dieses Urteil ist exemplarisch für eine einflussreiche Interpretationslinie
von N.s Lyrik im Allgemeinen und der DD im Besonderen, nämlich sie zu ver-
stehen als Ausdruck von N.s ganz persönlicher Befindlichkeit, als autobiogra-
phische Zeugnisse, namentlich seines übergroßen Leiden(-Können)s, während
die Prosawerke den Anspruch auf überpersönliche Verbindlichkeit formulieren
sollten. Carl Rom geht in seiner Würdigung der Gedichte und Sprüche für die
 
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