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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0682
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Überblickskommentar 659

ten wahlweise als autobiographische Informationsquellen oder als hochartifizi-
elle Kunstprodukte. Dabei kann, wie in Paul Heinzes Geschichte der Deutschen
Literatur von Goethes Tod bis zur Gegenwart (2. Auflage, 1903), entweder die
Kontinuität zur antiken Dichtung betont werden: DD erscheinen dann als
Texte, „deren vom Rausche des erregten Gefühls beflügelter Hymnenschwung
ungeachtet ihres ureigenen Ideengehaltes vielfach an gleichartige Schöpfungen
althellenischer Dichter erinnert" (Kr II, 128). Oder aber sie stehen Pate für die
avantgardistische Lyrik des 20. Jahrhunderts: ,,[M]it Nietzsches letzten Dithy-
ramben kommt eine Dichtung herauf, die sich selbst Stoff und Inhalt ist, wie
nur Musik es war [...], sieghaft-gewiß" (Kr III, 138), meint Richard Benz in
seinem Werk Die Stunde der deutschen Musik (1923/27). Nur gelegentlich gelten
die DD als das eigentlich Bleibende von N.s Werk, so in einem Aufsatz von
Paul Fechter für die Deutsche Rundschau von 1927 (Bd. 213, S. 128-140), der N.
ansonsten bescheinigt, er habe „keinen Zugang zum eigentlichen Philosophi-
schen" gewonnen (Kr III, 267). DD dienen bei Fechter also dazu, den großen
Dichter gegen den minderwertigen Philosophen auszuspielen.
Selten wurden die DD als Gesamtwerk ernsthaft und ausgiebig gewürdigt
(vgl. aber Kommerell 1943, 481-491) — nach Giorgio Colli fällt es schwer, das
Werk überhaupt als „Gedichtzyklus anzusehen. Sie ermangeln einer ausrei-
chenden Festlegung nach Form und Inhalt. [...] Den Grundstock bildet improvi-
siertes Material, eine Serie unmittelbarer Aufzeichnungen von Seelenzustän-
den, aber man entdeckt hier nicht, wie es sonst bei Nietzsche die Regel ist,
das große Ringen um Abstraktion." (KSA 6, 457 f., vgl. dazu auch Groddeck
1991, 2, XI-XIII) N.-Leser pflegen nach ihren eigenen Bedürfnissen einzelne
Gedichte herauszugreifen und zu instrumentalisieren. So vertonte Emil Niko-
laus von Reznicek Ruhm und Ewigkeit. „Dem Dramatiker in Reznicek mußten
diese Texte willkommen sein", berichtet Felicitas von Reznicek: „Die gestei-
gerte Rede Nietzsches bot reichste Anregungen für musikalische Ausdeutung,
und so geschah es auch; daher das Orchestergewand dieser Gesänge mit dem
man allen Erregungen des Dichters folgen konnte." (Kr II, 130) Gelegentlich
erscheinen die DD geradezu als symptomatisch für eine Epoche, so in Oswald
Spenglers Der Untergang des Abendlandes (1918/23) für die im Niedergang
begriffene abendländische Kultur. Dort ist es das Motiv der Sehnsucht nach
der Ferne, das Dekadenz anzeigt: „Schon das Wort ,Ferne' hat in der abendlän-
dischen Lyrik aller Sprachen einen wehmütig herbstlichen Akzent, den man
in der griechischen und lateinischen vergebens sucht. Man findet ihn [...] in
Nietzsches Dionysos-Dithyramben" (Spengler 1963, 312).
Intensiver Gegenstand der Forschung sind die DD erst in jüngerer Zeit
geworden, nachdem immerhin schon Hans-Werner Bertallot in seiner Disserta-
tion Hölderlin — Nietzsche. Untersuchungen zum hymnischen Stil in Prosa und
 
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