670 Dionysos-Dithyramben
größeren Zusammenhang, sondern den wesentlichen Inhalt des sehr kurzen
Buches vom Propheten Jona bildet. Das ebenso gezielte Heraustreten aus dem
fiktionalen Zusammenhang und damit die Destruktion des poetischen
Anspruchs („ihr versteht / meine gelehrte Anspielung?") ist charakteristisch
für diesen Dithyrambus, so schon für den Anfang, der einen parodistischen
Selbstkommentar zur Beschwörung der „Wüsten" am Beginn des Gedichts
inszeniert: „Ha! / Feierlich! / ein würdiger Anfang! / afrikanisch feierlich!"
(382, 26-29) Auch im Folgenden durchbricht das sprechende Ich immer wieder
seine ,Poesie'. Es sieht sich von den Mädchen „Dudu und Suleika"
„umsphinxt" und kommentiert diese seltsame Prägung folgendermaßen:
„dass ich in Ein Wort / viele Gefühle stopfe / (— vergebe mir Gott / diese
Sprachsünde!...)" (384, 21-25, vgl. ausführlich Groddeck 1991, 2, 71-74). Gott,
den N. schon längst verabschiedet und für tot erklärt hat, lässt er hier und
auch sonst immer wieder zur banalen Redensart verkommen. Alsbald, nach-
dem das pseudodichterische Ich sich selbst als lediglich kompensatorisch am
Orient interessierten typischen Europäer charakterisiert und Europa als „zwei-
felsüchtiger [...] als alle Eheweibchen" (385, 4) bezeichnet hat, ruft es aus:
„Möge Gott es bessern!" (385, 5) Und nochmals, in einer eklatanten Zuspitzung,
wird Gott zum ,europäischen' Versatzstück — in der Travestie von Luthers
berühmtem Ausspruch, den er am 18. April 1521 auf dem Reichstag zu Worms
als abschließende Antwort auf die Frage getan haben soll, ob er widerrufen
wolle: „Und da stehe ich schon, / als Europäer, / ich kann nicht anders, Gott
helfe mir! / Amen!" (387, 4-7).
383, 28-30 was ich aber in Zweifel ziehe. / Dafür komme ich aus Europa, / das
zweifelsüchtiger ist als alle Eheweibchen] In JGB 208 hat N. Europa unter dem
Zeichen einer schwächenden, nihilistischen Skepsis der Erschöpfung und Ori-
entierungslosigkeit stehen sehen (KSA 5, 137-140). Dagegen führte er — ver-
sinnbildlicht an Friedrich II. von Preußen — eine „gefährlichere und härtere
neue Art der Skepsis" vor (JGB 209, KSA 5, 141, 8 f.), die ihm für den eigenen
Denkweg paradigmatisch erscheint (JGB 210, KSA 5, 142-144). Zum Thema
siehe Sommer 2007a.
384, 21 Dudu und Suleika] Der Name Dudu stammt aus Lord Byrons Don Juan,
den N. schon im Dezember 1861 von Mutter und Schwester erbeten hatte, der
Name Suleika aus Goethes West-östlichem Divan.
384, 31-34 sei es aus Zufall / oder geschah es aus Übermuthe? / wie die alten
Dichter erzählen] Zu diesen „alten Dichtern" gehört niemand anders als N.s
Zarathustra, der lehrte: ,„über allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Him-
mel Unschuld, der Himmel Ohngefähr, der Himmel Übermuth'" (Za III Vor
Sonnen-Aufgang, KSA 4, 209, 13 f., vgl. Volkmann-Schluck 1968, 131).
größeren Zusammenhang, sondern den wesentlichen Inhalt des sehr kurzen
Buches vom Propheten Jona bildet. Das ebenso gezielte Heraustreten aus dem
fiktionalen Zusammenhang und damit die Destruktion des poetischen
Anspruchs („ihr versteht / meine gelehrte Anspielung?") ist charakteristisch
für diesen Dithyrambus, so schon für den Anfang, der einen parodistischen
Selbstkommentar zur Beschwörung der „Wüsten" am Beginn des Gedichts
inszeniert: „Ha! / Feierlich! / ein würdiger Anfang! / afrikanisch feierlich!"
(382, 26-29) Auch im Folgenden durchbricht das sprechende Ich immer wieder
seine ,Poesie'. Es sieht sich von den Mädchen „Dudu und Suleika"
„umsphinxt" und kommentiert diese seltsame Prägung folgendermaßen:
„dass ich in Ein Wort / viele Gefühle stopfe / (— vergebe mir Gott / diese
Sprachsünde!...)" (384, 21-25, vgl. ausführlich Groddeck 1991, 2, 71-74). Gott,
den N. schon längst verabschiedet und für tot erklärt hat, lässt er hier und
auch sonst immer wieder zur banalen Redensart verkommen. Alsbald, nach-
dem das pseudodichterische Ich sich selbst als lediglich kompensatorisch am
Orient interessierten typischen Europäer charakterisiert und Europa als „zwei-
felsüchtiger [...] als alle Eheweibchen" (385, 4) bezeichnet hat, ruft es aus:
„Möge Gott es bessern!" (385, 5) Und nochmals, in einer eklatanten Zuspitzung,
wird Gott zum ,europäischen' Versatzstück — in der Travestie von Luthers
berühmtem Ausspruch, den er am 18. April 1521 auf dem Reichstag zu Worms
als abschließende Antwort auf die Frage getan haben soll, ob er widerrufen
wolle: „Und da stehe ich schon, / als Europäer, / ich kann nicht anders, Gott
helfe mir! / Amen!" (387, 4-7).
383, 28-30 was ich aber in Zweifel ziehe. / Dafür komme ich aus Europa, / das
zweifelsüchtiger ist als alle Eheweibchen] In JGB 208 hat N. Europa unter dem
Zeichen einer schwächenden, nihilistischen Skepsis der Erschöpfung und Ori-
entierungslosigkeit stehen sehen (KSA 5, 137-140). Dagegen führte er — ver-
sinnbildlicht an Friedrich II. von Preußen — eine „gefährlichere und härtere
neue Art der Skepsis" vor (JGB 209, KSA 5, 141, 8 f.), die ihm für den eigenen
Denkweg paradigmatisch erscheint (JGB 210, KSA 5, 142-144). Zum Thema
siehe Sommer 2007a.
384, 21 Dudu und Suleika] Der Name Dudu stammt aus Lord Byrons Don Juan,
den N. schon im Dezember 1861 von Mutter und Schwester erbeten hatte, der
Name Suleika aus Goethes West-östlichem Divan.
384, 31-34 sei es aus Zufall / oder geschah es aus Übermuthe? / wie die alten
Dichter erzählen] Zu diesen „alten Dichtern" gehört niemand anders als N.s
Zarathustra, der lehrte: ,„über allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Him-
mel Unschuld, der Himmel Ohngefähr, der Himmel Übermuth'" (Za III Vor
Sonnen-Aufgang, KSA 4, 209, 13 f., vgl. Volkmann-Schluck 1968, 131).