Stellenkommentar DD Wüste, KSA 6, S. 383-387 671
386, 24-30 Ha! / Herauf, Würde! / Blase, blase wieder, / Blasebalg der
Tugend! / Ha! / Noch Ein Mal brüllen, / moralisch brüllen] In der Vorlage kam
noch eine Zeile dazu, siehe Za IV Unter Töchtern der Wüste 2, KSA 4, 384, 27-
384, 1: „Ha! Herauf, Würde! / Tugend-Würde! Europäer-Würde! / Blase, blase
wieder, / Blasebalg der Tugend! / Ha! / Noch Ein Mal brüllen, / Moralisch
brüllen!" Die Anspielung auf die europäisch-kolonialistische „Europäer-
Würde" entfiel in der letzten Fassung. Die Sequenz verweist auf Richard Wag-
ners Siegfried (1. Aufzug, 3. Szene), nämlich auf Siegfrieds Lied, als er das
Schwert Nothung schmiedet: „Hoho! hoho! / hahei! hahei! / Blase, Balg, /
blase die Gluth!" (Wagner 1871-1873, 6, 163 = Wagner 1907, 6, 116) Vgl. dazu
NK KSA 6, 114, 23 f. Der ganze Passus 385, 20-387, 6 hat eine stark sexuelle
Konnotation.
Nachdem N. die moralischen Wertungen in den Schriften Jenseits von Gut
und Böse und Zur Genealogie der Moral historisch und psychologisch in Frage
gestellt hat, erscheint hier die „Würde" als Inbegriff einer moralischen Hal-
tung, wie sie insbesondere Schiller in mehreren seiner philosophisch-ästheti-
schen Schriften darstellte (N. verspottete ihn als „Moral-Trompeter von Säckin-
gen", vgl. NK KSA 6, 111, 5 f.), und dann die „Tugend", d. h. die gelebte Moral,
als Folge einer charakteristisch ,europäischen' Konditionierung. N., der sein
sprechendes Ich als Europäer deklariert, lässt dieses Ich, weil es von seiner
,europäischen' Mentalität nicht loskommt, aus diesem tieferen Grund sagen:
„ich kann nicht anders" (387, 6).
387, 4-7 Und da stehe ich schon, / als Europäer, / ich kann nicht anders, Gott
helfe mir! / Amen!] Vgl. NK 383, 21-24 u. NK KSA 6, 302, 5.
387, 8-13 Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt! [...] Vergiss nicht,
Mensch, den Wollust ausgeloht: / du — bist der Stein, die
Wüste, bist der Tod...] Vgl. NL 1884, KSA 11, 28[4], 299. N. setzte diese
Verse durch einen dreifachen Asteriscus vom vorhergehenden Text ab, doch
signalisiert er durch den ringkompositorischen Rückbezug auf den Anfang des
2. Teils (382, 23: „Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt...")
einen horizontbildenden Grundgedanken. Auch durch die in fünfhebigen Jam-
ben gehaltenen Paarreime hebt sich die Schlusspartie von allen vorausgehen-
den Versen ab. Das erst hier und gleich zweimal exponierte Todesmotiv („Der
ungeheure Tod blickt glühend braun [...] du — bist der Stein, die
Wüste, bist der Tod...", 387, 10-13) verbindet diesen ,Dithyrambus' mit
mehreren anderen, vor allem mit den beiden folgenden (vgl. ÜK DD). Aus-
schließlich hier allerdings kommt zum Ausdruck, dass „Wollust" zum tödli-
chen Ende führe. Im Kontext der breit ausgeführten Titelvorstellung von „Töch-
tern der Wüste" eröffnen sich damit naheliegende Spekulationen. Thomas
386, 24-30 Ha! / Herauf, Würde! / Blase, blase wieder, / Blasebalg der
Tugend! / Ha! / Noch Ein Mal brüllen, / moralisch brüllen] In der Vorlage kam
noch eine Zeile dazu, siehe Za IV Unter Töchtern der Wüste 2, KSA 4, 384, 27-
384, 1: „Ha! Herauf, Würde! / Tugend-Würde! Europäer-Würde! / Blase, blase
wieder, / Blasebalg der Tugend! / Ha! / Noch Ein Mal brüllen, / Moralisch
brüllen!" Die Anspielung auf die europäisch-kolonialistische „Europäer-
Würde" entfiel in der letzten Fassung. Die Sequenz verweist auf Richard Wag-
ners Siegfried (1. Aufzug, 3. Szene), nämlich auf Siegfrieds Lied, als er das
Schwert Nothung schmiedet: „Hoho! hoho! / hahei! hahei! / Blase, Balg, /
blase die Gluth!" (Wagner 1871-1873, 6, 163 = Wagner 1907, 6, 116) Vgl. dazu
NK KSA 6, 114, 23 f. Der ganze Passus 385, 20-387, 6 hat eine stark sexuelle
Konnotation.
Nachdem N. die moralischen Wertungen in den Schriften Jenseits von Gut
und Böse und Zur Genealogie der Moral historisch und psychologisch in Frage
gestellt hat, erscheint hier die „Würde" als Inbegriff einer moralischen Hal-
tung, wie sie insbesondere Schiller in mehreren seiner philosophisch-ästheti-
schen Schriften darstellte (N. verspottete ihn als „Moral-Trompeter von Säckin-
gen", vgl. NK KSA 6, 111, 5 f.), und dann die „Tugend", d. h. die gelebte Moral,
als Folge einer charakteristisch ,europäischen' Konditionierung. N., der sein
sprechendes Ich als Europäer deklariert, lässt dieses Ich, weil es von seiner
,europäischen' Mentalität nicht loskommt, aus diesem tieferen Grund sagen:
„ich kann nicht anders" (387, 6).
387, 4-7 Und da stehe ich schon, / als Europäer, / ich kann nicht anders, Gott
helfe mir! / Amen!] Vgl. NK 383, 21-24 u. NK KSA 6, 302, 5.
387, 8-13 Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt! [...] Vergiss nicht,
Mensch, den Wollust ausgeloht: / du — bist der Stein, die
Wüste, bist der Tod...] Vgl. NL 1884, KSA 11, 28[4], 299. N. setzte diese
Verse durch einen dreifachen Asteriscus vom vorhergehenden Text ab, doch
signalisiert er durch den ringkompositorischen Rückbezug auf den Anfang des
2. Teils (382, 23: „Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt...")
einen horizontbildenden Grundgedanken. Auch durch die in fünfhebigen Jam-
ben gehaltenen Paarreime hebt sich die Schlusspartie von allen vorausgehen-
den Versen ab. Das erst hier und gleich zweimal exponierte Todesmotiv („Der
ungeheure Tod blickt glühend braun [...] du — bist der Stein, die
Wüste, bist der Tod...", 387, 10-13) verbindet diesen ,Dithyrambus' mit
mehreren anderen, vor allem mit den beiden folgenden (vgl. ÜK DD). Aus-
schließlich hier allerdings kommt zum Ausdruck, dass „Wollust" zum tödli-
chen Ende führe. Im Kontext der breit ausgeführten Titelvorstellung von „Töch-
tern der Wüste" eröffnen sich damit naheliegende Spekulationen. Thomas