688 Dionysos-Dithyramben
in seinem Brief an Franz Overbeck aus Nizza am 12. 02. 1887: er wolle, schreibt
N., „keinen Augenblick leugnen, daß ein andres Faktum mir schrecklich weh
thut und mir auch beständig gegenwärtig ist: daß in eben diesen fünfzehn
Jahren [also seit dem Erscheinen von GT 1872] auch nicht Ein Mensch mich
,entdeckt' hat, mich nöthig gehabt hat, mich geliebt hat, und daß ich diese
lange erbärmliche schmerzenüberreiche Zeit durchlebt habe, ohne durch eine
ächte Liebe getröstet worden zu sein" (KSB 8, Nr. 798, S. 20, Z. 43-49).
401, 11 Mit allen deinen Martern!] Im Druckmanuskript danach gestrichen:
„Zur letzten aller Einsamen..." (KSA 14, 517 u. Groddeck 1991, 1, Tafel 128).
401, 17 f. mein Schmerz! / mein letztes Glück!...] Schon früh hat N. das mit
dem ,Dionysischen' gleichgesetzte ,Tragische' als paradoxe Einheit von
Schmerz und Lust dargestellt (GT 2, KSA 1, 33, 4-8; GT 24, KSA 1, 151, 7-21). Er
orientierte sich dabei an Paul Graf Yorck von Wartenburgs Schrift Die Katharsis
des Aristoteles und der Oedipus Coloneus des Sophokles (Berlin 1866). Darin
heißt es: „In der Ekstase aber sind die Affekte, welche sie hervorgerufen haben,
aufgehoben. Die Schmerzen erwecken Lust, der Schrecken Freude, die Lust
hat etwas krampfhaft Schmerzliches. Die Ekstase ist die höhere Einheit des
Schmerzes und der Lust" (Yorck von Wartenburg 1866, 22).
401, 19 Ein Blitz. Dionysos wird in smaragdener Schönheit sichtbar.] Vgl. EH Za
7: „Man höre, wie Zarathustra vor Sonnenaufgang (III, 18) mit sich redet:
ein solches smaragdenes Glück [...] hatte noch keine Zunge vor mir" (KSA 6,
345, 19-22). Schon im Za-Kapitel Die sieben Siegel erscheint die Metapher ,sma-
ragden' im Zusammenhang mit der auf Zarathustra projizierten dionysischen
Ekstase, die sich im „Tanz" manifestiert: „Wenn meine Tugend eines Tänzers
Tugend ist, und ich oft mit beiden Füssen in gold-smaragdenes Entzücken
sprang" (KSA 4, 290, 18 f.). Die Epiphanie des Dionysos wird, nach einem für
Erscheinungen der Gottheit tradierten Schema, als blendende Licht-Erfahrung
inszeniert. Spezifischer orientierte sich N. an der Schlussszene der Bakchen des
Euripides. Dort erscheint Dionysos, nachdem er als zerstörerischer, grausamer
Dämon gewütet und die Menschen in Wahnsinn und tödliche Exzesse getrie-
ben hat, um nun, abgehoben von allem Menschlichen (N. ästhetisierend: „in
smaragdener Schönheit"), weiteres Unheil zu verkünden. Die Bakchen sind
der Grundtext der Dionysos-Mythologie. N. geht in der Geburt der Tragödie im
Zusammenhang mit seiner Konzeption des Dionysischen immer wieder auf ihn
ein; in Basel las er mit seinen Schülern die Bakchen. Was allerdings N.s Diony-
sos am Ende der Klage der Ariadne verkündet, ist eine Parodie des tragischen
Geschehens in den Bakchen, eine Parodie auch von N.s eigener Darstellung
der „Martern" und „Qualen", die der Gott Ariadne bereitet hat. N. enthüllt
damit die Autoreferentialität der durch seine Projektionsfigur Ariadne lautge-
in seinem Brief an Franz Overbeck aus Nizza am 12. 02. 1887: er wolle, schreibt
N., „keinen Augenblick leugnen, daß ein andres Faktum mir schrecklich weh
thut und mir auch beständig gegenwärtig ist: daß in eben diesen fünfzehn
Jahren [also seit dem Erscheinen von GT 1872] auch nicht Ein Mensch mich
,entdeckt' hat, mich nöthig gehabt hat, mich geliebt hat, und daß ich diese
lange erbärmliche schmerzenüberreiche Zeit durchlebt habe, ohne durch eine
ächte Liebe getröstet worden zu sein" (KSB 8, Nr. 798, S. 20, Z. 43-49).
401, 11 Mit allen deinen Martern!] Im Druckmanuskript danach gestrichen:
„Zur letzten aller Einsamen..." (KSA 14, 517 u. Groddeck 1991, 1, Tafel 128).
401, 17 f. mein Schmerz! / mein letztes Glück!...] Schon früh hat N. das mit
dem ,Dionysischen' gleichgesetzte ,Tragische' als paradoxe Einheit von
Schmerz und Lust dargestellt (GT 2, KSA 1, 33, 4-8; GT 24, KSA 1, 151, 7-21). Er
orientierte sich dabei an Paul Graf Yorck von Wartenburgs Schrift Die Katharsis
des Aristoteles und der Oedipus Coloneus des Sophokles (Berlin 1866). Darin
heißt es: „In der Ekstase aber sind die Affekte, welche sie hervorgerufen haben,
aufgehoben. Die Schmerzen erwecken Lust, der Schrecken Freude, die Lust
hat etwas krampfhaft Schmerzliches. Die Ekstase ist die höhere Einheit des
Schmerzes und der Lust" (Yorck von Wartenburg 1866, 22).
401, 19 Ein Blitz. Dionysos wird in smaragdener Schönheit sichtbar.] Vgl. EH Za
7: „Man höre, wie Zarathustra vor Sonnenaufgang (III, 18) mit sich redet:
ein solches smaragdenes Glück [...] hatte noch keine Zunge vor mir" (KSA 6,
345, 19-22). Schon im Za-Kapitel Die sieben Siegel erscheint die Metapher ,sma-
ragden' im Zusammenhang mit der auf Zarathustra projizierten dionysischen
Ekstase, die sich im „Tanz" manifestiert: „Wenn meine Tugend eines Tänzers
Tugend ist, und ich oft mit beiden Füssen in gold-smaragdenes Entzücken
sprang" (KSA 4, 290, 18 f.). Die Epiphanie des Dionysos wird, nach einem für
Erscheinungen der Gottheit tradierten Schema, als blendende Licht-Erfahrung
inszeniert. Spezifischer orientierte sich N. an der Schlussszene der Bakchen des
Euripides. Dort erscheint Dionysos, nachdem er als zerstörerischer, grausamer
Dämon gewütet und die Menschen in Wahnsinn und tödliche Exzesse getrie-
ben hat, um nun, abgehoben von allem Menschlichen (N. ästhetisierend: „in
smaragdener Schönheit"), weiteres Unheil zu verkünden. Die Bakchen sind
der Grundtext der Dionysos-Mythologie. N. geht in der Geburt der Tragödie im
Zusammenhang mit seiner Konzeption des Dionysischen immer wieder auf ihn
ein; in Basel las er mit seinen Schülern die Bakchen. Was allerdings N.s Diony-
sos am Ende der Klage der Ariadne verkündet, ist eine Parodie des tragischen
Geschehens in den Bakchen, eine Parodie auch von N.s eigener Darstellung
der „Martern" und „Qualen", die der Gott Ariadne bereitet hat. N. enthüllt
damit die Autoreferentialität der durch seine Projektionsfigur Ariadne lautge-