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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0732
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Überblickskommentar 709

unächt; was ächt ist, wird versteckt oder dekorirt. Es ist ein Schauspieler, in
jedem schlimmen und guten Sinn des Worts.'" Selbstzweifel schienen N. 1888
im Blick auf das eigene Werk allerdings nicht mehr anzufechten.

4 Konzeption und Struktur
NW nimmt als Collage und damit als eine Art formales Experiment unter N.s
Werken eine Sonderstellung ein. So häufig N. bei der parallelen Arbeit an ver-
schiedenen Schriften Materialien neu gruppiert und schließlich in einer ande-
ren als der ursprünglich vorgesehenen Schrift publiziert oder gelegentlich auch
Selbstzitate verwendet hat, bestritt er bis NW doch nie eine ganze Schrift aus
bereits in anderen Zusammenhängen publizierten Texten. Bei einem eingehen-
deren Vergleich mit den Ursprungstexten zeigt sich nicht nur, dass N. orthogra-
phisch und stilistisch manches emendiert und geglättet, sondern auch, dass er
insgesamt — was die programmatischen, jeweils neuen Titel der ausgewählten
Abschnitte schon anzeigen — auf eine Zuspitzung des ursprünglich Intendier-
ten hingearbeitet hat. Die Collage-Technik, damit das Neuarrangement, die
Neukontextualisierung ursprünglich isolierter Aphorismen ermöglichen eine
Vereinheitlichung des Gemeinten. In den ursprünglichen Kontexten auftre-
tende Konnotationen werden einer neuen Sinneinheit geopfert. Dass die ausge-
wählten Textabschnitte „vor Allem verkürzt" worden seien (NW Vorwort,
KSA 6, 415, 4 f.), ist ein wichtiger Hinweis auf ein von N. insbesondere im Spät-
werk gewähltes Verfahren, nämlich die Technik einer pointierenden Abkür-
zung, die den jeweiligen Sinn vereindeutigen soll. Die Breitseite gegen die
Deutschen und die Anspielung auf den Dreibund zwischen Deutschland, Öster-
reich und Italien sowie auf den italienischen Ministerpräsidenten Francesco
Crispi im Vorwort signalisieren, dass NW keineswegs eine Privatabrechnung
mit Wagner ist, sondern als Seitenstück zur Umwertung aller Werte eine ent-
schieden politische Dimension intendiert und damit ihren (pseudo)dokumen-
tarischen Charakter verliert: Wagner soll nicht nur als Typus des decadent
diskreditiert werden (vgl. Müller-Lauter 1999b, 1-23), sondern als verabscheu-
ungswürdige moralisch-ästhetische Verkörperung all dessen, was N.s neue
„grosse Politik" (vgl. Ottmann 1999, 239-292) überwinden will. Bewunderung
kann N. Wagner nur da zollen, wo er sich als „Meister des ganz Kleinen"
(NW Wo ich bewundere, KSA 6, 418, 7) zeigt, was er in seinem vermessenen
Drang nach dem Großen freilich meist vergesse. Die physiologische Betrach-
tungsweise, die das sprechende Ich einfordert, verlangt von der Musik
„Erleichterung" für den „Leib" (NW Wo ich Einwände mache, KSA 6, 419,
3-5), während Wagner das Theatralische, die Attitüde wolle (vgl. Moore 2001
 
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