Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0745
Lizenz: In Copyright

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
722 Nietzsche contra Wagner. Aktenstücke eines Psychologen

man sei vielleicht nicht zum Schwimmen allein da, schon die leise Regung
unserer amphibischen Natur — ist Sünde!" (M 89, KSA 3, 83, 8-13) In dieser
kleinen Parabel wird die menschliche „Natur" insofern also als „amphibische"
verstanden, als sie eben nicht nur zum Schwimmen (im Meer des Glaubens),
sondern für das Betreten des Festlandes gemacht ist. Amphibien sind bekannt-
lich Lebewesen, die sowohl im Wasser wie auf dem Lande leben können
(dpcpi = beidseitig, ßtog = Leben). Mit dem Rückgriff auf seine „amphibische
Natur" wird offensichtlich der Mensch als ein Wesen begriffen, das sich in
unterschiedlichen Lebenselementen bewegen kann und nicht auf das eine oder
andere festgelegt ist. Die entsprechende Spannweite der Seele scheint der
Künstler, von dem N. hier spricht, bis in die kleinsten Details, die Schuppen
der Amphibienhaut, zur Darstellung bringen zu können. Nach NL 1886/87,
KSA 12, 7[54], 313, 26 f. wird dem Menschen gerade in der Umbruch- und Kri-
sensituation der Gegenwart ein amphibisches Dasein besonders abverlangt:
„Die Vernichtung der Ideale, die neue Öde, die neuen Künste, um es auszuhal-
ten, wir Amphibien." Die Wendung „amphibische Natur" stammt übrigens
nicht von N., sondern ist im 19. Jahrhundert geläufig (etwa bei Georg Gottfried
Gervinus oder bei Franz Kottenkamp in dessen Ergänzungen zu Lichtenbergs
Hogarth-Erläuterungen — Hogarth 1840, 2, 682). N. könnte der Wendung auch
in Julius Lipperts Werk Die Religionen der europäischen Culturvölker begegnet
sein, wo es heißt: „So ist auch das Griechenvolk vielmehr das Volk des östli-
chen Mittelmeeres. Auch in dem sesshaften griechischen Landbebauer steckt
noch wie im echten Normannen das Seefahrerblut. Diese amphibische Natur
seiner Landsleute hat uns Hesiod in ,Werke und Tage' (618 ff.) aus seiner eige-
nen Zeit heraus recht fasslich geschildert." (Lippert 1881, 245; N. hat das Werk
nach NPB 361 allerdings erst 1885, damit nach Erscheinen von M, erworben).
418, 7 der Meister des ganz Kleinen] Während in 418, 5-7 N.s Bewunderung
für Wagner als „Meister des ganz Kleinen" ironisch klingt, nimmt N. in EH
Warum ich so klug bin 10 für sich selbst große Aufmerksamkeit gegenüber den
(scheinbar) kleinen Dingen in Anspruch, deren Wichtigkeit er herausstellt, vgl.
NK KSA 6, 295, 25-32. Diese Nähe zu Wagner impliziert zugleich eine Distanz,
denn während Wagner zwar nach Großem strebt, aber des Großen unfähig sei,
lässt N. an seiner eigenen Größe und seinen „grosse[n] Aufgaben" (EH Warum
ich so klug bin 10, KSA 6, 295, 29) keinen Zweifel aufkommen.
418, 8 Sein Charakter] FW 87, KSA 3, 445, 26: „Sein Charakter".
418, 9 Wandmalerei!...] FW 87, KSA 3, 445, 27: „Wandmalerei!".
418, 9 sein Geist] FW 87, KSA 3, 445, 28: „sein Geist".
418, 10 andren] FW 87, KSA 3, 445, 28: „anderen".
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften