Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0748
License: In Copyright

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Stellenkommentar NW Einwände, KSA 6, S. 418-419 725

anlässlich des Sieges im Deutsch-Französischen Krieg und der Thronbestei-
gung des preußischen Königs Wilhelm I. als deutscher Kaiser. N. besaß die
Noten nicht nur des Orchestersatzes, sondern zudem noch von zwei Klavier-
auszügen des Kaiser-Marsches (vgl. NPB 711). Für N. war das Werk schon früh
charakteristisch für die politischen Hoffnungen, die Wagner mit seinem Kultur-
erneuerungsprogramm verband: „das grossartige Vertrauen, welches Wagner
dem deutschen Geiste auch in seinen politischen Zielen geschenkt hat, scheint
mir darin seinen Ursprung zu haben, dass er dem Volke der Reformation jene
Kraft, Milde und Tapferkeit zutraut, welche nöthig ist, um ,das Meer der Revo-
lution in das Bette des ruhig fliessenden Stromes der Menschheit einzudäm-
men': und fast möchte ich meinen, dass er Diess und nichts Anderes durch
die Symbolik seines Kaisermarsches ausdrücken wollte" (UB IV WB 10, KSA 1,
504, 24-32, vgl. auch NL 1875, KSA 8, 11[4], 191, wo der Kaiser-Marsch als Beleg
für Wagners „Deutschthum" herhalten musste). Deutlich reserviert klang es
fast zeitgleich in NL 1874, KSA 7, 32[22], 761, wo N. Wagners „theatralische
Sprache" reflektierte, die „eine Volksrede" und nicht „ohne eine starke Vergrö-
berung selbst des Edelsten" zu denken sei. Sie wolle, wie man am Beispiel des
Kaiser-Marsches sehe, „in die Ferne wirken und das Volkschaos zusammenkit-
ten". Gerade diese uniformierende Kraft von Wagners Kunst spricht N. ihr im
Spätwerk ab: Nicht einmal das Individuum, nämlich der neue Kaiser Wilhelm
II., geschweige denn eine Menschengruppe oder „das Volkschaos" könnte sich
nun nach dem Takt dieses Marsches bewegen. Wagner hat eben keinen Takt
(mehr). Als Symptom einer Entwicklung, nämlich einer politisch-ideologischen
Dekadenz interpretiert den Kaiser-Marsch hingegen nur NL 1888, KSA 13,
14[52], 243 (korrigiert nach KGW IX 8, W II 5, 161, 1-8), wonach Wagners „Klug-
heit zur Rechten Zeit mit dem deutschen Wesen Frieden machte, den Kaiser-
marsch dichtete, General-kapellmeister-Stellungen [sic] ambitionirte". Das
impliziert zugleich, dass Wagner „zu jedem Schmutz condescendirte, mit dem
sich der deutsche Geist, dieser so corrupte ,deutsche' Geist, befleckt". Dieser
Wagner-entwicklungsgeschichtliche Aspekt wird bei der Anspielung auf den
Kaiser-Marsch in NW ausgeblendet; ohnehin wird die Entwicklung, die Wagner
durchgemacht hat, wenig beleuchtet, sondern seine Musik insgesamt als Deka-
denzphänomen interpretiert.
418, 29 f. welche in gutem Gehn, Schreiten, Tanzen liegen] FW 368, KSA 3, 617,
5 f.: „welche in gutem Gehen, Schreiten, Springen, Tanzen liegen".
418, 31-419, 1 betrübt sich nicht mein Eingeweide?] FW 368, KSA 3, 617, 7:
„mein Eingeweide?"
419, If. Werde ich nicht unversehens heiser dabei... Um Wagner zu hören, brau-
che ich Pastilles Gerandel...] FW 368, KSA 3, 617, 7 f.: „Werde ich nicht unver-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften