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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0761
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738 Nietzsche contra Wagner. Aktenstücke eines Psychologen

Ambros von basrelief, also dem nur wenig plastischen Flachrelief die Rede;
auch der Hinweis auf Mozarts „steinernen Gast" fehlt. Die Statue des Komturs
ist vielleicht ein hautrelief, jedenfalls tritt sie mit vollplastischer Dramatik auf,
die gelegentlich auch musikalisch geboten sein mag, jedoch nicht als Kriterium
für „alle Musik", für Musik überhaupt dienen soll. N. nimmt also die Relief-
metaphorik im frühen Vortrag auf, ergänzt sie um das Beispiel musikalischer
Plastik, nämlich den „steinernen Gast" und modelliert das Motivkonglomerat
in MA II WS 165 schließlich zu einer Fundamentalkritik an einem bestimmten
überdramatischen Musikverständnis um, das in NW „contra Wagner" zuge-
spitzt wird.
423, 9-13 So erst wirke die Musik! — Auf wen wird da gewirkt? Auf Etwas,
worauf ein vornehmer Künstler niemals wirken soll, — auf die Masse! auf die
Unreifen! auf die Blasirten! auf die Krankhaften! auf die Idioten! auf Wagne-
rianer!...] MA II WS 165, KSA 2, 620, 25-32: „— Aber ihr entgegnet, die grös-
sere Wirkung spreche zu Gunsten eures Princips — und ihr hättet Recht,
wofern nicht die Gegenfrage übrig bliebe, auf wen da gewirkt worden sei,
und auf wen ein vornehmer Künstler überhaupt nur wirken wollen dürfe!
Niemals auf das Volk! Niemals auf die Unreifen! Niemals auf die Empfindsa-
men! Niemals auf die Krankhaften! Vor Allem aber: niemals auf die Abge-
stumpften!" Die „Gegenfrage" stellt sich in NW bereits nicht mehr. Der Adres-
sat der künstlerischen Wirkung ist der größte Einwand gegen die Vornehmheit
des Künstlers. Die ursprünglich dialogische Anlage von MA II WS 165 wird
in NW sprachlich vereinfacht und wandelt sich zum formelhaften Imperativ,
demzufolge der vornehme Künstler nicht nur nicht auf ein törichtes Publikum
„wirken wollen dürfe", sondern „niemals wirken soll". Das „Volk" als Adressat
pompös-erregender Musik wird durch „Masse" ersetzt — ein Wort, mit dem N.
an die sozialwissenschaftlichen Diskussionen seiner Zeit namentlich in Frank-
reich anschließt. Mit dem Austauschen der „Empfindsamen" durch die „Blasir-
ten" wird der Kreis des Publikums weiter negativ vereindeutigt, denn die bei
den „Empfindsamen" immerhin noch möglichen, nicht pejorativen Assoziatio-
nen entfallen bei den „Blasirten" ganz. Auch die „Abgestumpften" werden als
„Idioten" nun ganz in die pathologische Ecke abgeschoben, aber doch nur,
damit diese Liste in einer in MA II WS 165 fehlenden Klimax kulminieren kann,
nämlich in den „Wagnerianern", die die höchste Steigerungsform all der
menschlichen Widerwärtigkeit im wirkungsorientierten Musikadressatenkreis
verkörpern (vgl. schon zu einer ähnlichen Reihung NW Wo ich Einwände
mache, KSA 6, 420, 14-18). Damit wird auch dieser Text, der in MA II WS 165
noch ohne direkte Nennung derjenigen auskam, die eine rein wirkungsorien-
tierte Musik treiben, eindeutig „contra Wagner" lesbar.
 
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