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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0796
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Stellenkommentar NW Apostel, KSA 6, S. 430-431 773

Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens,
ein schlechtes Werk. — Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur
Widernatur: ich verachte Jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die
Sittlichkeit empfindet. —] GM III 3, KSA 5, 342, 32-343, 6: „umzulehren...
Und nicht nur mit den Parsifal-Posaunen von der Bühne herab: — in der trü-
ben, ebenso unfreien als rathlosen Schriftstellerei seiner letzten Jahre giebt es
hundert Stellen, in denen sich ein heimlicher Wunsch und Wille, ein verzagter,
unsicherer, uneingeständlicher Wille verräth, ganz eigentlich Umkehr, Bekeh-
rung, Verneinung, Christenthum, Mittelalter zu predigen und seinen Jüngern
zu sagen ,es ist Nichts! Sucht das Heil wo anders!' Sogar das ,Blut des Erlösers'
wird einmal angerufen..."
431, 18-20 ich verachte Jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die
Sittlichkeit empfindet.] In der zeitgenössischen Wagner-Kritik ist der Attentats-
vorwurf durchaus geläufig, siehe Tappert 1877, 3: „,Das tollste Attentat auf
Kunst, Geschmack, Musik und Poesie, welches je dagewesen, ist die Keilerei
in den »Meistersingern«.' (Ferdinand Hiller, 1870.)".
431, 13-15 Ist der Hass auf das Leben bei ihm Herr geworden, wie bei
Flaubert?] Der Topos von Flauberts Selbsthass geht auf dessen Brief an Maxime
Du Camp vom 21. 10. 1851 zurück, worin es nach Du Camps Wiedergabe heißt:
„Ma jeunesse m'a trempe dans je ne sais quel opium d'embetement pour le
reste de mes jours. J'ai la vie en haine; le mot est parti, qu'il reste! oui, la vie
et tout ce qui me rappelle qu'il la faut subir. C'est un supplice de manger,
de m'habiller, d'etre debout." (Du Camp 1883, 2, 16. „Meine Jugend hat mich
eingetaucht in ein, was weiß ich was für ein, Opium von Schererei für den
Rest meines Lebens. Mein Leben ist Hass; das Wort ging verloren, wär' es doch
geblieben! Ja, das Leben und alles, was mich daran erinnert, dass man es
erdulden muss. Es ist eine Folter zu essen, mich anzuziehen, aufrecht zu ste-
hen.") Du Camp antwortete: „Tu n'as pas la haine de la vie, tu as la haine de
ta vie, de ta fagon de vivre, ce qui n'est pas la meme chose." (Ebd., 19. „Du
hast keinen Hass auf das Leben, Du hast einen Hass auf Dein Leben, Deine
Art zu Leben, was nicht das Gleiche ist.") Hass spielt in der Motivkonstellation,
die man Flaubert im späteren 19. Jahrhundert zuzuschreiben gewohnt ist, eine
bestimmende Rolle. Brunetiere z. B. betonte mehrfach den Hass, den Flaubert
auf den Bourgeois kultiviere und sieht diesen Hass schließlich ausgeweitet zu
einem Hass auf die ganze Menschheit (Brunetiere 1884b, 193 f.). N. lachte über
Flauberts „Wuth über den bourgeois" in NL 1884, KSA 11, 26[458], 272.
431, 17 f. Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur] Das
ist ein fast wörtliches Zitat aus dem „Gesetz wider das Christenthum", „Vier-
ter Satz": „Die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Aufreizung zur
 
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