106
Otto Immisch :
ist gerade dieses Lob der Athener hier auffällig. Eben dies beweist
die Einwirkung des Timäus.
Das übrige Lob wird in seiner vollen Bedeutung erst erkannt,
wenn man die folgenden Ausdrücke beachtet: άρχήθεν γεγένην-
ται, ούδ’ επείσακτος παιδεία, έκ φύσεως ύπάρχουσα. Es soll damit
offenbar eine Ausnahmeleistung bezeichnet werden. Für gewöhn-
lich sind τέχναι, λόγοι und μαθήματα, ist die ganze παιδεία
nicht άρχήθεν vorhanden und ganz anders als έκ φύσεως ent-
standen. Daß Agatharchides so dachte, bestätigt sich tatsäch-
lich durch das, was wir in den sonst erhaltenen Überresten
seines Werkes lesen. Auch er steht da durchaus auf dem Boden
jener in den letzten Jahren öfter besprochenen1 Anschauungen,
die, über verschiedenartige Philosophenschulen verbreitet, die
höheren Kulturleistungen aus χρεία ableiten2. Zwar lernten wir
ihn früher (S. 21 und 87) als einen Lobredner der Natur kennen,
der alles, was φύσει ist und κατά τον τής φύσεως λογισμόν, weit
emporhebt über die mit δόξα3 verflochtenen, naturentfremdeten
περιττά der Kultur. Von der φύσις παρασοφισθεΐσα ταΐς δόξαις will
er nichts wissen. Die Natur, die ihre Kinder heb hat, ist ihm
deshalb auch für alle unmittelbaren Lebensnotwendigkeiten
die beste Lehrerin άγαθή γάρ ή φύσις διδάσκαλος άπασι τοι ζωοις
προς διατήρησιν ού μόνον έαυτών, άλλα καί των γεννωμένων, διά τής
συγγενούς φιλοζωίας τάς διαδοχάς εις άίδιον άγουσα διαμονής κύκλον
(Diodor 2, 50, 7). Sie bewirkt die Anpassung der Lebewesen an
ihren Lebensraum: αύτοδιδάκτου προς τά τοιαΰτα τής φύσεως ούσης
1 Vgl. zuletzt nach Jäger, Nemesios 125ff. Rudberg Forsch, zu
Pos. (1918) 51 ff. und Pohlenz, Hippocrates de prisca medicina, Hermes
53 (1918) 416ff.
2 Überhaupt hat der Peripatetiker Agatharchides das ausgeprägte
kulturhistorische Interesse des alten Peripatos beibehalten. An die νόμιμα
βαρβάρων erinnert die Stelle über die Troglodyten, die ihre Toten τωθασμω
και γέλωτι χρώμενοι beisetzen, ein συνέσεως σημεΤον (454a 35 ff.). Weiber-
und Kindergemeinschaft wird erwähnt 452a 37 (Diodor 3, 24, 4) und 454a 6
(Diodor 3, 32, 1). Er beachtet auch die Nachrichten über Gesänge und Feste
der Primitiven, ωδαί άναρθροι und συνουσίαι παιδιάς χάριν γινόμεναι
(450 a 10 und Diodor 3, 17, 1), und weiß, daß sie sich am Wachtfeuer den
Schlaf vertreiben αδοντες πατρίους τινάς μύθους 454b 16. Auch dem Ur-
sprung der Sprache hat er nachgedacht. Er denkt sie hervorgegangen aus
Affektäußerungen, weshalb durch völlige Apathie gekennzeichnete Primi-
tive auch unzureichende Sprache haben sollen und sich mit unartikulierten
Lauten, Mimik und Pantomimik begnügen (450b 8ff. und Diodor 3, 18, 6).
3 Der spezifisch menschlichen! Vgl. oben S. 98.
Otto Immisch :
ist gerade dieses Lob der Athener hier auffällig. Eben dies beweist
die Einwirkung des Timäus.
Das übrige Lob wird in seiner vollen Bedeutung erst erkannt,
wenn man die folgenden Ausdrücke beachtet: άρχήθεν γεγένην-
ται, ούδ’ επείσακτος παιδεία, έκ φύσεως ύπάρχουσα. Es soll damit
offenbar eine Ausnahmeleistung bezeichnet werden. Für gewöhn-
lich sind τέχναι, λόγοι und μαθήματα, ist die ganze παιδεία
nicht άρχήθεν vorhanden und ganz anders als έκ φύσεως ent-
standen. Daß Agatharchides so dachte, bestätigt sich tatsäch-
lich durch das, was wir in den sonst erhaltenen Überresten
seines Werkes lesen. Auch er steht da durchaus auf dem Boden
jener in den letzten Jahren öfter besprochenen1 Anschauungen,
die, über verschiedenartige Philosophenschulen verbreitet, die
höheren Kulturleistungen aus χρεία ableiten2. Zwar lernten wir
ihn früher (S. 21 und 87) als einen Lobredner der Natur kennen,
der alles, was φύσει ist und κατά τον τής φύσεως λογισμόν, weit
emporhebt über die mit δόξα3 verflochtenen, naturentfremdeten
περιττά der Kultur. Von der φύσις παρασοφισθεΐσα ταΐς δόξαις will
er nichts wissen. Die Natur, die ihre Kinder heb hat, ist ihm
deshalb auch für alle unmittelbaren Lebensnotwendigkeiten
die beste Lehrerin άγαθή γάρ ή φύσις διδάσκαλος άπασι τοι ζωοις
προς διατήρησιν ού μόνον έαυτών, άλλα καί των γεννωμένων, διά τής
συγγενούς φιλοζωίας τάς διαδοχάς εις άίδιον άγουσα διαμονής κύκλον
(Diodor 2, 50, 7). Sie bewirkt die Anpassung der Lebewesen an
ihren Lebensraum: αύτοδιδάκτου προς τά τοιαΰτα τής φύσεως ούσης
1 Vgl. zuletzt nach Jäger, Nemesios 125ff. Rudberg Forsch, zu
Pos. (1918) 51 ff. und Pohlenz, Hippocrates de prisca medicina, Hermes
53 (1918) 416ff.
2 Überhaupt hat der Peripatetiker Agatharchides das ausgeprägte
kulturhistorische Interesse des alten Peripatos beibehalten. An die νόμιμα
βαρβάρων erinnert die Stelle über die Troglodyten, die ihre Toten τωθασμω
και γέλωτι χρώμενοι beisetzen, ein συνέσεως σημεΤον (454a 35 ff.). Weiber-
und Kindergemeinschaft wird erwähnt 452a 37 (Diodor 3, 24, 4) und 454a 6
(Diodor 3, 32, 1). Er beachtet auch die Nachrichten über Gesänge und Feste
der Primitiven, ωδαί άναρθροι und συνουσίαι παιδιάς χάριν γινόμεναι
(450 a 10 und Diodor 3, 17, 1), und weiß, daß sie sich am Wachtfeuer den
Schlaf vertreiben αδοντες πατρίους τινάς μύθους 454b 16. Auch dem Ur-
sprung der Sprache hat er nachgedacht. Er denkt sie hervorgegangen aus
Affektäußerungen, weshalb durch völlige Apathie gekennzeichnete Primi-
tive auch unzureichende Sprache haben sollen und sich mit unartikulierten
Lauten, Mimik und Pantomimik begnügen (450b 8ff. und Diodor 3, 18, 6).
3 Der spezifisch menschlichen! Vgl. oben S. 98.