Platonismus und Mystik im Altertum.
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gelangt1. Und drittens, auch das göttlich-Gute ist ‘in’ der Seele,
aber weder als Wesensteil Gottes noch als seine bloße Abschattung,
sondern als die der Seele zutiefst eignende Funktion, ‘eine Art
eigener, einheitlicher Gestalt2’ zu sein. Die vernünftige Seele er-
hebt sich über das Gewoge des sinnlichen, ununterscheidbaren Ge-
menges innerhalb und außerhalb ihrer selbst, indem sie auf begriff-
lichem Wege ‘Einheiten’ stiftet; das aber vermag sie nur deshalb,
weil in ihr selber letztlich ‘eine Art Einsheit’ als das ihr eingeborene
Gute3 ist; auf dieser Funktion beruht ihr Vermögen, tmemati-
schen Abstand zu nehmen vom Sinnlichen, aktive Teilhabe am
Sein durch eigenes Bemühen der Vernunft zu erarbeiten, und jene
‘Wege’ zurückzulegen, deren schmerzhafte Sehnsucht nach dem
Schönen das Symposion, deren systematische Fortschritte zum
Guten hin das Höhlengleichnis beschreibt. So kann die Seele be-
stimmt werden als das, was im Reiche der yeveaiq das Vermögen
des ‘Werdens zum Sein hin’, die Freiheit des Ja und Nein zu den
Werten besitzt, als das, was nicht nur Bewegung4 ‘hat’, sondern
was selber Bewegung sein soll5.
1 Resp. 524 a.
2 Theaet. 184d.
3 Diesen Ausdruck halte ich für legitim, wenn auch nicht für wörtlich
zu belegen. Die [hoc xic, iSsa könnte mit demselben Recht das spupuxov
ayahov des Menschen genannt werden, wie es ein Epcpurov xaxov der Seele
gibt Resp. 610 a. Die Vernunft ist die Hauptfunktion der Seele, durch welche
wir Teilhaber an der Wahrheit sind und Wissen erhalten; Wahrheit setzt sich
nicht zusammen aus Einzelerkenntnissen, sondern ist ‘Sein’. Wissen ist:
Kenntnis haben von etwas durch Vernunft im Lichte der Wahrheit (Illumi-
nationsmotiv nur metaphorisch; Aristoteles zitiert aus einem unbekannten
Autor töv voüv 6 hsö<; av7j^ev sv tt; Wxfi Rhet. 14'llb 12). Wenn etwas
noch über Vernunft ist, so ist es Gott, welcher die Macht ist, welche die Ver-
nunft zum Tun des Guten befähigt. Dies Tun der Vernunft aber ist nur mög-
lich von ihrer begriffliche Ordnung stiftenden Einheitsfunktion aus. Daher
ist diese Einheitsfunktion unser Bestes und ermöglicht das Heimischwerden
im Ideenreich. — Es ist nach Platonischen Voraussetzungen selbstver-
ständlich, daß das Gute und das Böse in der Seele nicht in gleichem
Sinne ‘eingeboren’ sind. Sondern streng genommen ist nur das Gute
eingeboren, wie (analog) dem Körper nur die Gesundheit. Wie aber mit
dieser die Krankheit als Fehlform konkurriert, so wird das Gute zum
Bösen, wenn die Seele falsch ‘gewendet’ wird. Erzieherisches xpecpeiv muß
immer zugleich ein axpepew sein, Besp. 518 d. Der Begriff des e'[X9UT0V
ayahov in der Seele ist an dieser Steile besonders deutlich: y] evoücsoc
exocoxgu Suvafm; ev xrj öu7.Y) xa'i. Öpvocvov, w xaxapav-9-dvei sxaaxcx;.
4 Wie bei Aristoteles De an. 413 b 11.
5 Legg. X, 891 — 895. In diesem Sinne sind auch Tim. 41 d und
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gelangt1. Und drittens, auch das göttlich-Gute ist ‘in’ der Seele,
aber weder als Wesensteil Gottes noch als seine bloße Abschattung,
sondern als die der Seele zutiefst eignende Funktion, ‘eine Art
eigener, einheitlicher Gestalt2’ zu sein. Die vernünftige Seele er-
hebt sich über das Gewoge des sinnlichen, ununterscheidbaren Ge-
menges innerhalb und außerhalb ihrer selbst, indem sie auf begriff-
lichem Wege ‘Einheiten’ stiftet; das aber vermag sie nur deshalb,
weil in ihr selber letztlich ‘eine Art Einsheit’ als das ihr eingeborene
Gute3 ist; auf dieser Funktion beruht ihr Vermögen, tmemati-
schen Abstand zu nehmen vom Sinnlichen, aktive Teilhabe am
Sein durch eigenes Bemühen der Vernunft zu erarbeiten, und jene
‘Wege’ zurückzulegen, deren schmerzhafte Sehnsucht nach dem
Schönen das Symposion, deren systematische Fortschritte zum
Guten hin das Höhlengleichnis beschreibt. So kann die Seele be-
stimmt werden als das, was im Reiche der yeveaiq das Vermögen
des ‘Werdens zum Sein hin’, die Freiheit des Ja und Nein zu den
Werten besitzt, als das, was nicht nur Bewegung4 ‘hat’, sondern
was selber Bewegung sein soll5.
1 Resp. 524 a.
2 Theaet. 184d.
3 Diesen Ausdruck halte ich für legitim, wenn auch nicht für wörtlich
zu belegen. Die [hoc xic, iSsa könnte mit demselben Recht das spupuxov
ayahov des Menschen genannt werden, wie es ein Epcpurov xaxov der Seele
gibt Resp. 610 a. Die Vernunft ist die Hauptfunktion der Seele, durch welche
wir Teilhaber an der Wahrheit sind und Wissen erhalten; Wahrheit setzt sich
nicht zusammen aus Einzelerkenntnissen, sondern ist ‘Sein’. Wissen ist:
Kenntnis haben von etwas durch Vernunft im Lichte der Wahrheit (Illumi-
nationsmotiv nur metaphorisch; Aristoteles zitiert aus einem unbekannten
Autor töv voüv 6 hsö<; av7j^ev sv tt; Wxfi Rhet. 14'llb 12). Wenn etwas
noch über Vernunft ist, so ist es Gott, welcher die Macht ist, welche die Ver-
nunft zum Tun des Guten befähigt. Dies Tun der Vernunft aber ist nur mög-
lich von ihrer begriffliche Ordnung stiftenden Einheitsfunktion aus. Daher
ist diese Einheitsfunktion unser Bestes und ermöglicht das Heimischwerden
im Ideenreich. — Es ist nach Platonischen Voraussetzungen selbstver-
ständlich, daß das Gute und das Böse in der Seele nicht in gleichem
Sinne ‘eingeboren’ sind. Sondern streng genommen ist nur das Gute
eingeboren, wie (analog) dem Körper nur die Gesundheit. Wie aber mit
dieser die Krankheit als Fehlform konkurriert, so wird das Gute zum
Bösen, wenn die Seele falsch ‘gewendet’ wird. Erzieherisches xpecpeiv muß
immer zugleich ein axpepew sein, Besp. 518 d. Der Begriff des e'[X9UT0V
ayahov in der Seele ist an dieser Steile besonders deutlich: y] evoücsoc
exocoxgu Suvafm; ev xrj öu7.Y) xa'i. Öpvocvov, w xaxapav-9-dvei sxaaxcx;.
4 Wie bei Aristoteles De an. 413 b 11.
5 Legg. X, 891 — 895. In diesem Sinne sind auch Tim. 41 d und