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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]; Heger, Klaus [Gefeierte Pers.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0218
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216

Wolfgang Raible

Man nehme als Beispiel einen jener juristischen Sätze, nach deren Vor-
bild die Straßburger Eide formuliert sind. Der nachfolgende Passus ist
grammatisch gesehen ein einziger Satz, in den eine Fülle anderer Sach-
verhaltsdarstellungen integriert sind. Er ist Teil eines Rechtsakts, zu
dem sich vom 1. bis 7. Juni 860 Ludwig der Deutsche, Karl der Kahle
und Lothar II bei Koblenz versammelt haben. Der dem zitierten Passus
vorangehende Satz „Et dominus Karolus excelsiori voce lingua Romana
dixit“ zeigt, daß auch hier, wie bei den Straßburger Eiden, die komplexe
Sachverhaltsdarstellung in der „romanischen Sprache“, also auf (Alt-)
Französisch, gesprochen wurde. (Einige der Junktoren bzw. jungieren-
den Mittel sind kursiv wiedergegeben.)
„Illis hominibus, qui contra me sic fecerunt, sicut scitis, et ad meum fratrem vene-
runt, propter Deum et propter illius amorem et pro illius gratia totum perdono,
quod contra me misfecerunt, et illorum alodes de hereditate et de conquisitu et
quod de donatione nostri senioris habuerunt excepto illo, quod de mea donatione
venit, illis concedo, si mihi firmitatem iecerint, quod in regno meo pacifici sint et sic
ibi vivant, sicut christiani in christiano regno vivere debent, in hoc si frater meus
meis fidelibus, qui contra illum nihil misfecerunt et me, quando mihi opus fuit,
adiuvaverunt, similiter illorum alodes, quos in regno illius habent, concesserit"'^.
(„Denjenigen, die sich mir gegenüber so verhalten haben, wie dies euch bekannt
ist, und zu meinem Bruder (über-)gegangen sind, verzeihe ich, bei Gott und bei der
Liebe Gottes und bei seiner Gnade, alles das, was sie Übles wider mich getan
haben, und ich gestehe ihnen ihre Güter, die sie ererbt oder erworben haben, und
das, was sie als Schenkung unseres Vaters besessen haben, zu, wenn sie mir die
feste Zusicherung geben, daß sie unter meiner Herrschaft friedfertig sind und hier
so leben, wie Christen in einem christlichen Reich leben sollen, vorausgesetzt, daß
mein Bruder meinen Anhängern, die nichts Übles wider ihn getan haben, und die
mich, als ich dessen bedurfte, unterstützt haben, in gleicher Weise deren Güter, die
sie in dessen Herrschaftsgebiet besitzen, zugesteht.“)
Solche - in der juristischen Tradition alles andere als seltenen - Textpas-
sus zeigen deutlich ein Problem, das sich durch den ausgiebigen Ge-
brauch der Möglichkeiten ergibt, die die Dimension ,Junktion‘ in einer
etablierten Kultursprache bietet. Es fällt schon demjenigen, der den
schriftlich vorliegenden Satz aus dem Lateinischen überträgt, nicht ganz
leicht, das Ganze zu verstehen. In noch stärkerem Maße dürfte derje-
nige, der solche Äußerungen von höchstem Sprachwerk-Charakter ver-
nimmt, mit Verstehensschwierigkeiten zu kämpfen haben: Alles ist nun
zwar in eine einzige Sachverhaltsdarstellung „gepreßt“, das zu Sagende
36 Monumenta Germaniae Historica, Legum Series II (Capitularia Regum Francorum), To-
mus II, Nr. 242, Ziffer 7.
 
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