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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]; Heger, Klaus [Honoree]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1992, 2. Abhandlung): Junktion: eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration ; vorgetragen am 4. Juli 1987 ; Klaus Heger zum 22.6.1992 — Heidelberg: Winter, 1992

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48166#0228
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Wolfgang Raible

Den zweiten Fall, das Wegfällen von Kategorien innerhalb von Spezifi-
zierungsbereichen [Finitheit/Infinitheit2 im Sinne des nachfolgenden
Abschnitts VI.2] - im Gegensatz zum Wegfällen ganzer Spezifizierungs-
bereiche [Finitheit/Infinitheit3 im Sinne von VI.2] - kann das Beispiel
der Konjunktiv-Formen in den einzelnen romanischen Sprachen ver-
deutlichen. Im Vallader, dem unterengadinischen Rätoromanischen,
gibt es einen Konjunktiv Präsens, Imperfekt, Perfekt und Plusquamper-
fekt. Im Italienischen sind dem Konjunktiv dagegen nur zwei Zeitstufen
zugänglich (Gegenwart und Vergangenheit), im Französischen prak-
tisch nur noch eine - und das heißt dann, mangels Opposition, gar keine
mehr7. Der französische Subjonctif stellt also den Übergang zum Weg-
fällen eines ganzen Spezifizierungsbereichs, hier des Tempus, dar. In
diesem, eben am Unterschied zwischen altgriechischem Infinitiv und
Partizip erläuterten Fall, ist die Reduzierung der Finitheit naturgemäß
noch größer.
Ein praktisches Beispiel für die Reduzierung von Finitheit war im vor-
angehenden Kapitel V.5 die lateinische Version des Satzes, den Karl der
Kahle 860 bei Koblenz in einem öffentlichen Rechtsakt geäußert hat.
Daß die eingebetteten Sachverhaltsdarstellungen, wie „finit“ sie auf den
ersten Blick auch aussehen mögen, schon allein kraft ihrer syntaktischen
Integration eine reduzierte Finitheit aufweisen, zeigt sich dann, wenn
jemand die Aussage Karls anzweifelt: Assertiert ist nur die einbettende
Sachverhaltsdarstellung, die eingebetteten stehen nicht im Skopus einer
solchen Anzweiflung, weil der Sprecher dank ihrer Integriertheit keine
kommunikative Regreßpflicht für sie übernommen hat. Assertiert ist
hier nur der Gesamtzusammenhang8.
7 Dies bemerkt im 18. Jahrhundert schon Etienne Bonnot de Condillac in seiner Gram-
maire (Band II des Cours d’études für den Infanten von Parma), Kapitel IX. Er stellt fest,
sowohl auf die Aussage „il part“ wie auf die Aussage „il partira“ könne man antworten:
„Je ne crois pas qu’il parte“. Die Form ,parte4 sei daher zeitlich unspezifiziert. Und er
resümiert: „Toutes ces nouvelles formes, qu’on fait prendre aux verbes dans les proposi-
tions subordonnées, expriment donc un rapport indéterminé au temps. Or cette indéter-
mination est l’accessoire qui constitue le mode qu’on nomme subjonctif. Il paraît que,
dans ce mode, le verbe, étant subordonné aux circonstances du discours, tient plus d’elles
que de sa forme, les rapports d’antériorité ou de postériorité qu’il exprime; et que les
différentes formes du subjonctif sont moins déstinées à distinguer les temps, qu’à mar-
quer la subordination du verbe de la proposition subordonnée au verbe de la proposition
principale.“ - Es ist genau dieser Faktor, der später Peter Wunderli von „Teilaktualisie-
rung des Verbalgeschehens“ im Falle des Subjonctif wird reden lassen. Vgl. Peter Wun-
derli (1970).
8 Vgl. Heger (1977). Im Ergebnis gleich, im Wortlaut anders ist ein entsprechender Passus
 
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