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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 1. Abhandlung): Sprachliche Texte - genetische Texte: Sprachwissenschaft und molekulare Genetik ; vorgetragen am 28. November 1992 — Heidelberg: Winter, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.48167#0035
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Sprachliche Texte - Genetische Texte

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nicht so überraschend kommen, sollen noch einige zusätzliche
Informationen vorausgeschickt werden. Sie haben verschiedene
Quellen.
4.2.1 Phylogenese
Eine erste Quelle ist mit der Zoologie interessanterweise eine
Makro-Disziplin im Bereich der Biologie. Vergleicht man die einzel-
nen Gattungen und Arten von Lebewesen, so erkennt man bei-
spielsweise, daß das, was bei den Urfischen Säcke im Eingeweide
sind, sich bei den Wirbeltieren zu Lungen entwickelt. Es handelt
sich um das Phänomen der Reinterpretation eines früheren Stadi-
ums in einem späteren Stadium der Entwicklung. Hier gibt es ein
ehernes Gesetz der Evolution das besagt, daß aufeinanderfolgende
Stadien nicht reversibel sind. Es gibt zwar die Möglichkeit der
Retrogradation insbesondere dann, wenn ein Organ seine Funktion
verliert. Um ein Beispiel hierfür zu geben: Auch unsere Augen bil-
den sich in verschiedenen Etappen. Die erste ist die Ausbildung von
Augenblasen im Zwischenhirn; daraus entwickelt sich die Linse,
aus der Linse entwickelt sich dann die Hornhaut. Bei Lebewesen,
die stets unter der Erde sind, beispielsweise den Höhlenolmen, bil-
den sich die Augen im Embryo in ganz normaler Weise; sie bilden
sich dann in umgekehrter Reihenfolge zurück.
Während also die Rückbildung möglich ist, scheint es unmöglich
zu sein, ein durch die Evolution der betreffenden Gattung über-
wundenes Stadium wieder zu erreichen. Alle Wirbeltiere durchlau-
fen bei der Morphogenese ein Stadium, in dem Kiemen angelegt
und dann wieder zurückgebildet werden (ebensowenig, wie ein
Höhlenolm mit seinen Augen jemals sieht, atmet ein menschlicher
Embryo durch Kiemen). Dies entspräche einer Lebensumgebung
im Wasser. Viel später in der Stammesgeschichte haben eine grö-
ßere Zahl von Wirbeltieren erneut eine solche Lebensumwelt im
Wasser gefunden, wo Kiemenatmung äußerst nützlich wäre - ohne
daß es jedoch die Möglichkeit gäbe, zu diesem Stadium zurückzu-
kehren; und dies, obwohl die genetische Information dazu in jeder
Zelle unseres Körpers im Prinzip noch verfügbar wäre. Man erkennt
also ein Prinzip der Evolution, nach dem jedes Stadium auf einem
vorangehenden Stadium aufbaut28.
28 Vgl. hierzu insbesondere zahlreiche Arbeiten von Rupert Riedl, z.B. Riedl
1984a.
 
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