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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 1. Abhandlung): Sprachliche Texte - genetische Texte: Sprachwissenschaft und molekulare Genetik ; vorgetragen am 28. November 1992 — Heidelberg: Winter, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.48167#0034
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Wolfgang Raible

Dimensionen nicht auf eine einzige so abbilden kann, daß allein
durch lineare Lektüre das vierdimensionale Ganze wieder entsteht,
dürfte dies automatisch bedeuten: Auch im genetischen Code müs-
sen in massiver Weise ganz ähnliche Hilfsmittel realisiert sein, wie
wir sie im sprachlichen Code beobachten: Hierarchiebildung und
metakommunikative Signale.
Solche metakommunikativen Signale wären Instruktionen dar-
über, welche Abschnitte des genetischen Lochstreifens in welcher
Zelle zu welcher Zeit aktiv gelesen, d.h. in jene Polypeptid-Ketten
übersetzt werden, die der jeweiligen Zelle ihr spezifisches Gepräge
geben und zugleich das Schicksal der nachfolgenden, durch weitere
Teilung entstehenden Zellen mit prägen. Metakommunikative
Signale wären des weiteren etwa die Markierung bestimmter Lese-
abschnitte, z.B. sogenannter Gene, mit besonderen, rein formalen
Erkennungsmerkmalen. (Ein Infinitiv oder ein Partizip werden ja
z.B. an ihren formalen Merkmalen erkannt.) Schließlich wird man
an Signale denken, deren Existenz der Kontextabängigkeit sprachli-
cher Zeichen entsprechen würde. Jede Zelle ist ja von vielen ande-
ren Zellen umgeben. Die Art dieser umgebenden Zellen dürfte
nicht ohne Einfluß auf die jeweilige Zelle und ihre Teilungspro-
dukte in der Ontogenese sein27.
4.2 Indizien für das Funktionieren des genetischen Codes
Eingangs war die Rede von den spektakulären Fortschritten der
molekularen Biologie in der letzten Dekade. Sie betreffen genau
das Gebiet der ganz selektiven Umsetzung der im genetischen
Lochstreifen enthaltenen Information bei den Eukaryoten. Sie
betreffen also mit der Umsetzung der genetischen Information in
einzelnen Zellen das Funktionieren des genetischen Codes
schlechthin. Damit die Fortschritte, die auf einem Gebiet gemacht
worden sind, auf dem man mit der Maßeinheit „Nanometer“ mißt,
three-dimensional organism in the course of development from the fertilized
egg is one of the great mysteries of biology (1985: 137).
Die Frage, wie sich aus der linearen Information, die in der Reihenfolge der
Nucleotidbausteine der DNS gespeichert ist, ein dreidimensionaler Organis-
mus entsteht, ist eine der Grundfragen der Entwicklungsbiologie. Dazu kommt
als vierte Dimension noch die Zeit, die ebenfalls im Entwicklungsprogramm
eingeplant ist (1992: 7).
27 Nicht nur die Hülle um den Kern der Eukaryoten-Zellen ist porös. Dasselbe gilt
natürlich auch für die Wände, die Zellen voneinander trennen. Die Zellen eines
Körpers arbeiten ja in vielfacher Weise zusammen.
 
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