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Raible, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1993, 1. Abhandlung): Sprachliche Texte - genetische Texte: Sprachwissenschaft und molekulare Genetik ; vorgetragen am 28. November 1992 — Heidelberg: Winter, 1993

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https://doi.org/10.11588/diglit.48167#0063
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Sprachliche Texte - Genetische Texte

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Tradition - spekulative Überlegungen anstellen über (sicher gar
nicht so zufällige) Homologien zwischen sprachlichen Texten
und ihren genetischen Entsprechungen70.
7. Wissenschaftsgeschichtliche Coda
Eingangs war davon die Rede, einer der mit diesen Ausführun-
gen verbundenen Hintergedanken sei es, die Tragweite der For-
schungen deutlich zu machen, die im Bereich der Morphogenese
und ihrer genetischen Fundierung gemacht werden. Es geht, wie
deutlich geworden sein dürfte, letztlich um nichts Geringeres als
darum, zu verstehen, wie lebendige Organismen entstehen und
Gestalt annehmen. Die Forschungen an der Drosophila sind dafür,
wie sich zeigt, prinzipiell so aussagekräftig wie entsprechende
Untersuchungen an Wirbeltieren oder am Menschen selbst - auch
wenn dies manchem unter uns wehtun sollte. Der Hauptgrund
dafür, daß die Entdeckungen der 80er Jahre so überraschend
kamen, lag wohl darin, daß man bei den Vielzellern nicht die
Mechanismen vermutet hatte, die man schon seit geraumer Zeit
von den Prokaryoten kannte. (Es gibt kaum ein Lebewesen, über
dessen genetischen Code man so gut Bescheid weiß wie Escherichia
coli.) Für viele erstaunlich ist dabei, in welchem Umfang nun Ergeb-
nisse der Biologie des frühen 20. Jahrhunderts wiederum größte
Bedeutung erlangen.
Die Heidelberger Akademie ist im Bereich dieser Forschungen
gut vertreten. Der Freiburger Biologe Hans Spemann (1869-1941)
hat 1935 für die Entdeckung des Organisatoreffekts - dessen Mecha-
nismen erst heute voll verständlich werden - den Nobelpreis für
die Sprache gar nicht gedacht werden kann. - Die anderen essentiellen Univer-
salien sind die Semantizität (wir reden, um etwas mitzuteilen), die Alterität (wir
richten uns damit an einen anderen), die Exteriorität (wir müssen uns eines Trä-
gers bedienen, um etwas mitzuteilen; hiermit hängt die Linearität zusammen)
und die Historizität (Sprachen sind immer geschichtlich geworden und verän-
dern sich). Vgl. dazu insbesondere Coseriu 1974.
70 Vgl. Thom 1972: 81: „Linguistics may be explained by an extension of genetic
mechanisms, rather than the converse“; oder Riedl 1984a: 230: „Die Natur-und
Denkmuster sind in einem Maße übereinstimmend, daß an eine Zufallsähn-
lichkeit nicht zu denken ist“; Riedl führt dies, auch unter Berufung auf Bern-
hard Hassenstein, an anderer Stelle im Hinblick auf das allgegenwärtige Hierar-
chieprinzip noch näher aus. Vgl. Riedl 1984b: 55-78 „Von der Evolutions- zur
Erkenntnistheorie“.
 
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