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EINLEITUNG
rechnete wohl nicht damit, daß sein Berichterstatter die Mitteilungen, die ihm Heß
gemacht hatte, falsch verstanden oder unzureichend wiedergegeben haben könnte. Da
es nicht bekannt ist, ob Heß auf dieses Schreiben Bucers reagiert hat, können wir
solchen Fragen nicht näher nachgehen. Es lag jedenfalls in Bucers Interesse, daß die
Straßburger Abendmahlsauffassung bekannt wurde. Auf diese Weise dehnte sich der
Kreis der Beteiligten. Bucer war es wichtig, daß bei der Einigung der deutschen
Protestanten auch die ostdeutschen reformatorischen Theoiogen beteiligt wurden 22 .
Eine offene Frage bleibt, ob Bucer bereits daran gedacht hat, daß die erstrebte Eini-
gung der Oberdeutschen mit Wittenberg auch den Ostdeutschen zugute kommen
sollte. Vor allem lag ihm daran, daß keine falschen Meinungen über die Straßburger
Theologie weiter verbreitet würden, wodurch die Atmosphäre vergiftet würde.
Die Reaktionen auf die Stuttgarter Konkordie machten deutlich, daß man das in
Marburg abgebrochene Gespräch über das Abendmahl wiederaufnehmen mußte. Da
die Lage sich in den wenigen Jahren erheblich verändert hatte 23 , war auch ganz anders
zu verhandeln als damals in Marburg. Bucer konnte nunmehr das Ergebnis seiner
langjährigen Bemühungen einbringen und auf eine Übereinstimmung im Abend-
mahlsartikel zielen, die in Marburg nicht zu erreichen gewesen war. Köhlers Formulie-
rung: »Wirklich ist Marburg Vorbild für die Württembergische Konkordie geworden.
Aber etwas anders, als Bucer es sich gedacht hatte« 24 , muß daher näher bestimmt
werden. Der Charakter der Wittenberger Besprechungen sollte ein anderer werden als
beim Reiigionsgespräch in Marburg. Das »in Aussicht genommene Religionsge-
spräch« 25 konnte in der Weise von Marburg nicht fortgesetzt werden.
Im übrigen zeigt sich die Unangemessenheit der Beurteilung, die Bucer in Köhlers
vorgefaßter Meinung zuteil wird. Er hält den Straßburger für keinen »ehrlichen
Makler«. Bei ihm heißt es: »Bucers Denken ist im Gegensatz zu Zwingli nicht rein. Er
sieht die Gegensätze nicht, oder besser, er will sie nicht sehen, besessen von der
Union.« 26 Schon im Zusammenhang der Stuttgarter Konkordie sieht er in Bucer den
Intriganten, der durch seine Mittelsmänner im Hintergrund agiert und im Grunde ein
»unehrliches Spiel« treibt. So genau er die Ereignisse verfolgt — er verkennt Bucers
22. Vgl. R. Stupperich: L’influence de Bucer en Europe du Nord, de l’Est et en Europe Cen-
trale. In: Strasbourg au cceur religieux du XVI e siecle. Strasbourg 1977. S. 379 — 389.
23. Die theologische Zerrissenheit im protestantischen Lager schwächte die politische Stel-
lung der gegen das Haus Habsburg gerichteten Kräfte erheblich. Soweit zu diesen auch katholi-
sche Mächte wie Bayern und Frankreich zählten, gilt dies auch für die konfessionelle Spaltung
Europas (vgl. zum letzteren den weiter unten, Anm. 65 angesprochenen Vorgang um die
Consilia für Franz I. und K.J. Seidel: Frankreich und die deutschen Protestanten. Münster 1970).
Einer Stärkung und Erweiterung des Schmalkaldischen Bundes stand ein tiefes Mißtrauen des
sächsischen Kurfürsten im Wege, mit dem er den Oberdeutschen und den Schweizern begegnete.
Auch im Blick auf das erwartete Konzil stellte die Zerspaltenheit auf konfessioneller und politi-
scher Ebene eine Gefährdung der evangelischen Stände dar. Vgl. Ian Ha^lett: Les entretiens
entre Melanchthon et Bucer en 1534: realites politiques et ciarification theologique. In: Horizons
europeens de la Reforme en Alsace. Strasbourg 1980. S. 208 — 212.
24. Köhler 2, S. 335.
25. Köhler 2, S. 331.
26. Köhler 2, S. 330.
EINLEITUNG
rechnete wohl nicht damit, daß sein Berichterstatter die Mitteilungen, die ihm Heß
gemacht hatte, falsch verstanden oder unzureichend wiedergegeben haben könnte. Da
es nicht bekannt ist, ob Heß auf dieses Schreiben Bucers reagiert hat, können wir
solchen Fragen nicht näher nachgehen. Es lag jedenfalls in Bucers Interesse, daß die
Straßburger Abendmahlsauffassung bekannt wurde. Auf diese Weise dehnte sich der
Kreis der Beteiligten. Bucer war es wichtig, daß bei der Einigung der deutschen
Protestanten auch die ostdeutschen reformatorischen Theoiogen beteiligt wurden 22 .
Eine offene Frage bleibt, ob Bucer bereits daran gedacht hat, daß die erstrebte Eini-
gung der Oberdeutschen mit Wittenberg auch den Ostdeutschen zugute kommen
sollte. Vor allem lag ihm daran, daß keine falschen Meinungen über die Straßburger
Theologie weiter verbreitet würden, wodurch die Atmosphäre vergiftet würde.
Die Reaktionen auf die Stuttgarter Konkordie machten deutlich, daß man das in
Marburg abgebrochene Gespräch über das Abendmahl wiederaufnehmen mußte. Da
die Lage sich in den wenigen Jahren erheblich verändert hatte 23 , war auch ganz anders
zu verhandeln als damals in Marburg. Bucer konnte nunmehr das Ergebnis seiner
langjährigen Bemühungen einbringen und auf eine Übereinstimmung im Abend-
mahlsartikel zielen, die in Marburg nicht zu erreichen gewesen war. Köhlers Formulie-
rung: »Wirklich ist Marburg Vorbild für die Württembergische Konkordie geworden.
Aber etwas anders, als Bucer es sich gedacht hatte« 24 , muß daher näher bestimmt
werden. Der Charakter der Wittenberger Besprechungen sollte ein anderer werden als
beim Reiigionsgespräch in Marburg. Das »in Aussicht genommene Religionsge-
spräch« 25 konnte in der Weise von Marburg nicht fortgesetzt werden.
Im übrigen zeigt sich die Unangemessenheit der Beurteilung, die Bucer in Köhlers
vorgefaßter Meinung zuteil wird. Er hält den Straßburger für keinen »ehrlichen
Makler«. Bei ihm heißt es: »Bucers Denken ist im Gegensatz zu Zwingli nicht rein. Er
sieht die Gegensätze nicht, oder besser, er will sie nicht sehen, besessen von der
Union.« 26 Schon im Zusammenhang der Stuttgarter Konkordie sieht er in Bucer den
Intriganten, der durch seine Mittelsmänner im Hintergrund agiert und im Grunde ein
»unehrliches Spiel« treibt. So genau er die Ereignisse verfolgt — er verkennt Bucers
22. Vgl. R. Stupperich: L’influence de Bucer en Europe du Nord, de l’Est et en Europe Cen-
trale. In: Strasbourg au cceur religieux du XVI e siecle. Strasbourg 1977. S. 379 — 389.
23. Die theologische Zerrissenheit im protestantischen Lager schwächte die politische Stel-
lung der gegen das Haus Habsburg gerichteten Kräfte erheblich. Soweit zu diesen auch katholi-
sche Mächte wie Bayern und Frankreich zählten, gilt dies auch für die konfessionelle Spaltung
Europas (vgl. zum letzteren den weiter unten, Anm. 65 angesprochenen Vorgang um die
Consilia für Franz I. und K.J. Seidel: Frankreich und die deutschen Protestanten. Münster 1970).
Einer Stärkung und Erweiterung des Schmalkaldischen Bundes stand ein tiefes Mißtrauen des
sächsischen Kurfürsten im Wege, mit dem er den Oberdeutschen und den Schweizern begegnete.
Auch im Blick auf das erwartete Konzil stellte die Zerspaltenheit auf konfessioneller und politi-
scher Ebene eine Gefährdung der evangelischen Stände dar. Vgl. Ian Ha^lett: Les entretiens
entre Melanchthon et Bucer en 1534: realites politiques et ciarification theologique. In: Horizons
europeens de la Reforme en Alsace. Strasbourg 1980. S. 208 — 212.
24. Köhler 2, S. 335.
25. Köhler 2, S. 331.
26. Köhler 2, S. 330.