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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Arend, Sabine [Oth.]; Bergholz, Thomas [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (16. Band = Baden-Württemberg, 2): Herzogtum Württemberg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2004

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30655#0043
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Einleitung

werden sollten, um Landfahren und Betteln zu unterbinden. Die Ordnung zeigt stark sozialdisziplinierende
Züge, da der Ursprung der Armut mit der Gottlosigkeit der Menschen begründet wird. Demgegenüber fehlt
jegliche praktische Regelung der Armenfürsorge76.
Die Einführung der Kastenordnung in den einzelnen Orten des Herzogtums erfolgte über einen langen
Zeitraum, da sie an die Visitation in den einzelnen Ämtern geknüpft war. Zwischen 1534 und 1550 deuten
zahlreiche Klagen über die Verwaltungspraxis der Kastenordnung auf diese schleppende Einführung
hin77. Einmal eingeführt, besaß die württembergische Kastenordnung jedoch eine lange Geltungsdauer, die
weit über die Regierungszeit Herzog Ulrichs hinausreichte.

8. Kirchenordnung 1536 (Text S. 103)
Das zentrale Element zur Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg war die Neuordnung
des Gottesdienstes nach evangelischer Lehre. Bereits Anfang Dezember 1534 machte Martin Bucer darauf
aufmerksam, dass für das Herzogtum eine Gottesdienstordnung geschaffen werden müsse, um ein ent-
scheidendes Moment der Reformation einheitlich zu regeln78. Bucers Anliegen war zentral, denn der Got-
tesdienst wurde im Herzogtum unterschiedlich gefeiert. Erhard Schnepf praktizierte in Stuttgart einen an
lutherischer Auffassung orientierten Gottesdienst, Blarer hielt sich demgegenüber in Tübingen an die
schlichtere oberdeutsche Form des Predigtgottesdienstes. Die unterschiedliche Gottesdienstfeier führte im
Frühjahr 1535 wiederholt zu Klagen Bucers und Martin Frechts79. Bucer forderte am 1. Mai eine möglichst
rasche Einigung bei den gottesdienstlichen Zeremonien80. Am 10. Juni 1535 trafen sich Schnepf und Blarer
in Stuttgart, wo es zu einer Aussprache darüber kam, dass Blarer sich nicht an die Maßgabe der Stuttgarter
Konkordie vom 2. August 1534 und die darin festgehaltene lutherische Abendmahlsauffassung hielt81.
Schnepf und Blarer einigten sich anschließend, gemeinsam eine Ordnung auszuarbeiten. Dennoch blieben
Differenzen, und Bucer mahnte Blarer am 26. August 1535 erneut, seine Gottesdienstzeremonie der Stutt-
garter anzupassen82.
Nach einjährigem Ringen um die Kirchenordnung wurde im Juli 1535 Johannes Brenz zur Ausarbeitung
hinzugezogen. Brenz hatte bereits 1527 für seine Heimatstadt Schwäbisch Hall eine Kirchenordnung ent-
worfen83 sowie an der brandenburg-nürnbergischen von 153384 mitgewirkt. Er sah die württembergische
Kirchenordnung durch und brachte Verbesserungsvorschläge an. Als Verfasser der schließlich entstandenen
Ordnung gilt jedoch Erhard Schnepf85.
Die Kirchenordnung lag spätestens am 14. März 1536 gedruckt vor, denn an diesem Tag schickte
Ambrosius Blarer ein Exemplar an seinen Bruder Thomas86 in Konstanz und am folgenden ein weiteres an

76 Reformation in Württemberg, S. 285; Fritz, Liebestä-
tigkeit (1912), S. 165f.; Deetjen, Studien, S. 127, 140f.;
Brecht/Ehmer, Reformationsgeschichte S. 244. Vgl.
auch die Leisniger Kastenordnung von 1523, Sehling,
EKO I, S. 598-604. Für das Spital Markgröningen hatte
Graf Eberhard im Bart bereits 1468 eine Ordnung erlas-
sen, siehe Fischer, Markgröningen, S. 273-285.
77 Deetjen, Studien, S. 140, 148-151; vgl. Reyscher,
Gesetze XII/1, Nr. 31 S. 141f.
78 Schiess, Briefwechsel I, Nr. 478 S. 585.
79 Waldenmaier, Gottesdienstordnungen, S. 58; Hart-
mann, Brenz, S. 152f.
80 Schiess, Briefwechsel I, Nr. 580 S. 691; vgl. Nr. 535
S. 655; Nr. 566 S. 681; Nr. 570 S. 683.

81 Schiess, Briefwechsel I, Nr. 594 S. 701; vgl. Hart-
mann, Brenz, S. 152.
82 Schiess, Briefwechsel I, Nr. 627 S. 732ff.; vgl. Hart-
mann, Schnepff, S. 44; Leppin, Streit, S. 167-173;
Brecht/Ehmer, Reformationsgeschichte, S. 225;
Waldenmaier, Gottesdienstordnungen, S. 56ff.
83 Stadtarchiv Schwäbisch Hall 5/54.
84 Osiander, GA V, S. 40-49.
85 Richter, EKO I, S. 265; Brecht, Ordnung, S. 18;
Pressel, Anecdota Brentiana Nr. LVI; Hartmann/
Jäger, Johannes Brenz II, S. 29; Waldenmaier, Got-
tesdienstordnungen, S. 59ff. Demgegenüber hält
Brecht, Anfänge, S. 322 Johannes Brenz für den Ver-
fasser.
86 Schiess, Briefwechsel I, Nr. 689 S. 788.

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