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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Bergholz, Thomas [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (16. Band = Baden-Württemberg, 2): Herzogtum Württemberg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2004

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https://doi.org/10.11588/diglit.30655#0673
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Einleitung

chen einer neuen Anstellung; dieses Verhalten stünde in der Tradition gerade der Kraichgauer Ritterschaft.
Dass Stab dann seinem Gastgeber bei der Gestaltung von dessen Kirchenwesen resp. der Neubearbeitung
der allzu zwinglianischen ersten Kirchenordnung zur Hand ging, ist allerdings ebenfalls nur Spekulation.
Es gibt aber noch eine weitere Verbindung zwischen Kempten und Neckarbischofsheim: den Pfarrer
Johann Gross gen. Pelorus, Sohn eines Kemptener Ratsherren.16 Gross ist 1556 in Heidelberg immatriku-
liert und ab Ende der 1550er Jahre als Diakon und Schulmeister in Neckarbischofsheim belegt, 1562 wird er
Nachfolger seines Schwiegervaters Thomas Frosch auf der 1. Pfarrstelle in Neckarbischofsheim.17 Zudem ist
für das Jahr 1575 eine Reise von Gross in seine Heimatstadt Kempten bezeugt.
Immerhin ist in dieser zweiten Fassung der Kirchenordnung auch der Einfluss der lutherischen Theo-
logie deutlich spürbar, wenngleich schweizerische und lutherische Gedanken, vor allem in der Abendmahls-
liturgie, merkwürdig unverbunden nebeneinander stehen: So heißt es z.B. im Dankgebet nach der Komm-
union: O Aller güttigster und Barmhertzigster herr Jesu Christe ... Erleße uns durch dis gedechtnus deines bitter
leidens und sterbens ... (fol. 86v), während in der Einleitung fol. 67v gesagt wird: Nach dem alle fromen
Christen wissen, das sy in Empfahung des hailigen abendtmals des leibs und bluts unsers herren Jesu Christi....
Offensichtlich war der Verfasser bemüht, so viel wie möglich vom Text der ersten Kirchenordnung in die
Neuausgabe hinüberzuretten, was eindeutig zu Lasten der theologischen Klarheit ging.
Trotz dieser lutherischen Überarbeitung ist der Einfluss der Basler Theologie vorherrschend: Die got-
tesdienstlichen Ordnungen für Taufe, Abendmahl und Krankenkommunion folgen weitgehend wörtlich
Oekolampads Form und gstalt, wie der kinder tauff, des herren Nachtmal und der Krancken heymsuchung jetz
zu Basel von etlichen Predicanten gehalten werden. 1526.18 Da die Erstfassung der Neckarbischofsheimer
Ordnung nur an diesen Stellen greifbar wird, werden die Übereinstimmungen im textkritischen Apparat
nachgewiesen.
Im Einzelnen: Die Taufordnung stellt vom Adjutorium19 (fol. 9r) bis zum eigentlichen Taufakt (fol. 16r)
eine komplette wörtliche Übernahme dar. Die Krankenkommunion folgt von fol. 24r bis fol. 36r der Basler
Form, es werden lediglich der erste abgedruckte Psalm, das Credo und einige kleinere Zwischenbemerkun-
gen ausgelassen, das Vaterunser umgestellt und vor der Austeilung ein Gebet eingefügt (fol. 34r).
Im Abendmahlsteil sind schließlich etliche Besonderheiten gegenüber anderen zeitgenössischen, von
Luther oder der württembergischen Ordnung beeinflusste Ordnungen zu beobachten, die ebenfalls eindeutig
auf die Basler Ordnung zurückgehen, beginnend auf fol. 68v mit den Bannungen derer, die vom Abendmahl
auszuschließen sind. Solche Bannungen, wenn auch mit etwas verschobenem Schwerpunkt20 und weniger
ausführlich,21 finden sich in der Basler Ordnung.22 Weiterhin sind aus der Form und gstalt übernommen: Der
Beginn der Vermahnung fol. 74v Alle die jenige und die Ermahnung zur Beichte fol. 76v. Wörtlich folgt die
Neckarbischofsheimer Ordnung der Basler dann bei der Absolution fol. 77v, bei der Vermahnung dieweil in
Empfahung fol. 79r mitsamt der sich anschließenden Lesung von Jes 53, die zwischen Vaterunser und den
Einsetzungsworten eingeschoben wird, und der anschließenden Ermahnung All hie heret ihr fol. 80r-81r.

16 Cramer, Pfarrerbuch I/2, S. 262f.
17 Dieser hatte ab 1549 die Pfarrstelle inne, vgl. Cramer,
Pfarrerbuch I/1, S. 185.
18 UB Basel Falk. 931. Wir nennen diese Schrift im Fol-
genden Form und gstalt Basel 1526.
19 Der Vers „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn.“
20 Vgl. Bergholz, Kein ander Spiel, S. 238.
21 Die Basler Ordnung liefert einen typischen Lasterkata-
log des 16. Jahrhunderts mit Verstößen gegen den Deka-
log und die zeitgenössische gute Policey. In der Neckar-
bischofsheimer Ordnung werden diese Dinge auch aufge-

zählt, aber ein zweiter Schwerpunkt wird bei der Abwehr
abergläubischer Praktiken der weißen und schwarzen
Magie gesetzt - ein Hinweis vielleicht auf den aufkei-
menden Hexenwahn im letzten Viertel des 16. Jahrhun-
derts.
22 Und ähnlich in der von ihr abhängigen Ulmer von 1531,
abgedruckt in: Bucer, DS IV, S. 212-272; vgl. Gäb-
ler, Art. Oekolampad, TRE 25, S. 32. Zu den Bannun-
gen im Basler Abendmahlsgottesdienst vgl. Kuhr, Die
Macht des Bannes, S. 150-158.

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