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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0052
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Grafschaft Hanau-Lichtenberg

Darmstadt überliefert. Zugleich wurden die Amtsleute mit einer Bestandsaufnahme der Pfarrhäuser
beauftragt.
Der von den Geistlichen zu unterzeichnende „Reversbrief“ trägt die Jahreszahl 1570; es spricht daher
einiges dafür, ihn mit der Neuordnung der Kirche nach der Vereinigung der beiden Teile der Grafschaft
Lichtenberg in Verbindung zu bringen57. Die neu in ihr Amt eintretenden Pfarrer verpflichteten sich dabei,
ihre Lehre nach der Hl. Schrift und der Confessio Augustana auszurichten, die Sakramente ordentlich zu
verwalten, einen der Würde des Amtes entsprechenden Lebenswandel zu führen und den vom Grafen
angeordneten Synoden und Visitationen Folge zu leisten.
Die Geistlichen, die sich der neuen Lehre nicht anschließen wollten, wurden aus dem Amt entlassen. In
seiner Haltung sah der Graf sich durch die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555
gedeckt. Im Unterschied zu den vierziger Jahren bestand nun auch kein Mangel mehr an geeigneten evan-
gelischen Geistlichen58. So konnten Philipp IV. und sein Sohn das umfangreiche neue Gebiet schnell mit
evangelischen Pfarrern versehen. Noch 1570 erhielten Brumath, Drusenheim, Herlisheim, Hördt (Hoerdt),
Ingweiler (Ingwiller), Niederbronn (Niederbronn-les-Bains) und Wimmenau neue Pfarrer. In Oberhofen
schloß sich der katholische Priester Johannes Rudolff der Reformation an und konnte deshalb seine Stel-
lung behalten. Ein Jahr später folgten die Orte Görsdorf, Gundershofen, Hangenbieten, Krautweiler
(Krautwiller), Morsbronn (Morsbronn-les-Bains), Preuschdorf und Wörth (Woerth) sowie die bislang von
Hanau-Lichtenberg und Zweibrücken-Bitsch gemeinsam verwaltete Stadt Lichtenberg59.
6. Kirchenordnung, 1573 (Text S. 48)
Ein weiteres Ergebnis der Neugestaltung nach 1570 war die hanau-lichtenbergische Kirchenordnung. Sie ist
ein Zeugnis für das Abrücken von der bucerischen Tradition und der verstärkten Hinwendung zu einem
„orthodoxen“ Luthertum. Diese Tendenz zur Lutheranisierung wird auch an Bucers ehemaliger Wirkungs-
stätte Straßburg unter dem Präsidenten des Kirchenkonvents Johannes Marbach spürbar60. Mit der neuen
Kirchenordnung wurde die seit 28 Jahren gültige „Kölnische Reformation“ aufgegeben. Begründet wird
dies in der Vorrede des Grafen zur Kirchenordnung mit der Länge des „Bedencken“ (sehr weitleuffig)61 und
mit den in der Kirche inzwischen eingerissenen mengel, unordnung und ungleicheit. Die neue Kirchenord-
nung greift an vielen Stellen auf die von Herzog Christoph I. erlassene württembergische Kirchenordnung
von 1553 zurück62, die auch in anderen Territorien übernommen worden war. Graf Philipp IV. ließ zwanzig
Exemplare der württembergischen Ordnung für seine Pfarrer anschaffen. Mit der Anpassung an die hanau-
lichtenbergischen Verhältnisse beauftragte er den Buchsweiler Pfarrer und Superintendenten Ludwig
Brachypodius (Kurzschenkel). Der aus Gemünden a. d. Wohra stammende Brachypodius war zunächst
Rektor der Schule in Babenhausen gewesen, dann 1568-1571 Pfarrer im hessischen Kleestadt. 1571 wurde
er nach Buchsweiler berufen63.
Brachypodius übernahm aus der württembergischen Kirchenordnung die Abschnitte zur Taufe (Seh-
ling, EKO XVI, S. 231-236), zur Nottaufe (ebd., S. 237-239), zum Abendmahl (ebd., S. 251-255), zur
Krankenseelsorge bzw. Krankenkommunion (ebd., S. 273f.) und zur Einsegnung der Ehe (ebd., S. 269-272).

57 Auch Schildberg, Pastorat, S. 30 bringt die Verpflich-
tungserklärung damit in Verbindung.
58 Vgl. Schildberg, Pastorat, S. 27.
59 Vgl. Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 96f.
60 Vgl. Sehling, EKO XX,1, S. 73f.
61 Bereits Luther hatte das „Bedencken“ als zu lang und
großes Gewäsch kritisiert. Vgl. Greschat, Bucer, S. 217.
62 Edition in Sehling, EKO XVI, S. 223-276. Die weite
Verbreitung der württembergischen Kirchenordnungen

von 1553 bzw. 1559 ist dokumentiert in: Württemberg
wird evangelisch. 475 Jahre Reformation - 450 Jahre
große Kirchenordnung, Stuttgart 2009 (= Kleine Schrif-
ten des Vereins für württembergische Kirchengeschichte
5), S. 72-75.
63 Vgl. Diehl, Pfarrer- und Schulmeisterbuch für die
acquirierten Lande, S. 21. Später war Brachypodius
Pfarrer und Superintendent in Babenhausen.

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