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SITZUNGEN
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Herr Klaus Fiedler hält einen Vortrag: „Geist und Umwelt. Unsichtbare Einflüsse der
Informationsumweit auf unser Denken, Urteilen und Entscheiden.“.
Vieles deutet daraufhin, dass die zukünftige Entwicklung der Psychologie sehr stark
von den heute dominierenden Neurowissenschaften beeinflusst werden wird. „Geist
und Gehirn“ ist nicht nur der Name einer populären Zeitschrift mit beachtlicher
Auflage, sondern auch die Bezeichnung eines Forschungsprogramms, welches von
der Überzeugung ausgeht, dass man das Gehirn analysieren muss, um ein tieferes Ver-
ständnis geistiger und psychischer Prozesse zu erlangen. Das Thema dieses Vortrages,
„Geist und Umwelt“, soll hingegen auf em alternatives Forschungsprogramm auf-
merksam machen, das ebenfalls biologisch fundiert, aber weitaus weniger populär
und regelmäßig vernachlässigt ist, obwohl es für die künftige Entwicklung der psy-
chologischen Wissenschaft ganz zentral sein dürfte. Denn eine fundamentale Einsicht
lautet: Um die psychischen (kognitiven, emotionalen) Prozesse zu verstehen, die im
Organismus (und im Gehirn) ablaufen, muss man zunächst die Struktur der Reiz-
umwelt verstehen, die auf den Organismus einwirkt.
Unsichtbare Einflüsse der Informationsumweit auf unser Denken, Wahrneh-
men und Entscheiden sind allgegenwärtig. So wie unsere akustische Wahrnehmung
darauf angewiesen ist, dass die Umwelt uns mit Schallwellen im wahrnehmbaren
Frequenzbereich versorgt, hängen auch rationale Urteile und Entscheidungen von
einer „freundlichen Umwelt“ ab, die uns nützliche Information zugänglich macht.
Doch Informationsumwelten verhalten sich oft unfreundlich, indem sie Information
nur selektiv verzerrt mitteilen oder gänzlich vorenthalten. Die Umwelt der Werbung
beispielsweise informiert Verbraucher einseitig über Vorteile von Produkten, nicht
aber über Nachteile. Personalauswahl-Entscheidungen machen die Qualifikation der
eingestellten Bewerber sichtbar, aber niemals die der abgewiesenen Bewerber. Risi-
ken lassen sich nur insofern kontrollieren, als sie in Krankheits- oder Kriminalitäts-
statistiken erfasst sind und nicht in einer Dunkelziffer verborgen bleiben.
Während diese Beispiele dem gesunden Menschenverstand vertraut sind, dürf-
ten andere Wechselwirkungen von Geist und Umwelt nicht ohne weiteres bekannt
und verständlich sein. Wie unser Gehör erweist sich auch das menschliche Gedächt-
nis als frequenzabhängig. Umweltveränderungen können besser erkannt werden,
wenn ihre Dauer oder Periodik der Kapazität des Kurzzeit-Gedächtnisses entspricht.
Kurzzeitige Veränderungen können besser erkannt werden, wenn die Gedächtnis-
kapazität beschränkt ist. Ein begrenztes Gedächtnis kann für rationales Entscheiden
ähnlich hilfreich sein wie kleine Stichproben von Beobachtungen, die kurzzeitige
Phänomene leichter zu erkennen geben als große Stichproben.
Eine Systematik ökologischer Rahmenbedingungen für die menschliche Intel-
ligenz muss eine Reihe von Prinzipien berücksichtigen — hier erläutert am Beispiel
der schulischen Leistungsbewertung durch einen Lehrer:
(a) Informationsumwelten sind komplex und gehorchen meist nur schwachen
Gesetzen unter großer Unsicherheit. Ein Lehrer, der Schulleistungen fair bewer-
ten soll, muss aus der relativen Anzahl richtiger und falscher Antworten das Wis-
SITZUNGEN
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Herr Klaus Fiedler hält einen Vortrag: „Geist und Umwelt. Unsichtbare Einflüsse der
Informationsumweit auf unser Denken, Urteilen und Entscheiden.“.
Vieles deutet daraufhin, dass die zukünftige Entwicklung der Psychologie sehr stark
von den heute dominierenden Neurowissenschaften beeinflusst werden wird. „Geist
und Gehirn“ ist nicht nur der Name einer populären Zeitschrift mit beachtlicher
Auflage, sondern auch die Bezeichnung eines Forschungsprogramms, welches von
der Überzeugung ausgeht, dass man das Gehirn analysieren muss, um ein tieferes Ver-
ständnis geistiger und psychischer Prozesse zu erlangen. Das Thema dieses Vortrages,
„Geist und Umwelt“, soll hingegen auf em alternatives Forschungsprogramm auf-
merksam machen, das ebenfalls biologisch fundiert, aber weitaus weniger populär
und regelmäßig vernachlässigt ist, obwohl es für die künftige Entwicklung der psy-
chologischen Wissenschaft ganz zentral sein dürfte. Denn eine fundamentale Einsicht
lautet: Um die psychischen (kognitiven, emotionalen) Prozesse zu verstehen, die im
Organismus (und im Gehirn) ablaufen, muss man zunächst die Struktur der Reiz-
umwelt verstehen, die auf den Organismus einwirkt.
Unsichtbare Einflüsse der Informationsumweit auf unser Denken, Wahrneh-
men und Entscheiden sind allgegenwärtig. So wie unsere akustische Wahrnehmung
darauf angewiesen ist, dass die Umwelt uns mit Schallwellen im wahrnehmbaren
Frequenzbereich versorgt, hängen auch rationale Urteile und Entscheidungen von
einer „freundlichen Umwelt“ ab, die uns nützliche Information zugänglich macht.
Doch Informationsumwelten verhalten sich oft unfreundlich, indem sie Information
nur selektiv verzerrt mitteilen oder gänzlich vorenthalten. Die Umwelt der Werbung
beispielsweise informiert Verbraucher einseitig über Vorteile von Produkten, nicht
aber über Nachteile. Personalauswahl-Entscheidungen machen die Qualifikation der
eingestellten Bewerber sichtbar, aber niemals die der abgewiesenen Bewerber. Risi-
ken lassen sich nur insofern kontrollieren, als sie in Krankheits- oder Kriminalitäts-
statistiken erfasst sind und nicht in einer Dunkelziffer verborgen bleiben.
Während diese Beispiele dem gesunden Menschenverstand vertraut sind, dürf-
ten andere Wechselwirkungen von Geist und Umwelt nicht ohne weiteres bekannt
und verständlich sein. Wie unser Gehör erweist sich auch das menschliche Gedächt-
nis als frequenzabhängig. Umweltveränderungen können besser erkannt werden,
wenn ihre Dauer oder Periodik der Kapazität des Kurzzeit-Gedächtnisses entspricht.
Kurzzeitige Veränderungen können besser erkannt werden, wenn die Gedächtnis-
kapazität beschränkt ist. Ein begrenztes Gedächtnis kann für rationales Entscheiden
ähnlich hilfreich sein wie kleine Stichproben von Beobachtungen, die kurzzeitige
Phänomene leichter zu erkennen geben als große Stichproben.
Eine Systematik ökologischer Rahmenbedingungen für die menschliche Intel-
ligenz muss eine Reihe von Prinzipien berücksichtigen — hier erläutert am Beispiel
der schulischen Leistungsbewertung durch einen Lehrer:
(a) Informationsumwelten sind komplex und gehorchen meist nur schwachen
Gesetzen unter großer Unsicherheit. Ein Lehrer, der Schulleistungen fair bewer-
ten soll, muss aus der relativen Anzahl richtiger und falscher Antworten das Wis-