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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunkt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0250
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Das WIN-Kolleg | 263

Der erste Themenkomplex befasste sich mit der Legitimation der Europäi-
schen Union als solcher. Hinsichtlich der Legitimation der Europäischen Union
haben wir grundsätzlich zwischen zwei Fragestellungen unterschieden. Die erste ist die
Frage nach der Legitimation der Europäischen Union als Herrschaftsverband über-
haupt. Dies unterscheidet die Europäische Union grundsätzlich von den meisten Natio-
nalstaaten, deren Existenz nicht in Frage gestellt wird, sondern als vorgegeben angese-
hen werden kann. Die Legitimation eines Nationalstaates folgt aus dem Staatsvolk, wel-
ches den Staat bildet. Eine solche selbstverständliche Legitimation der Europäischen
Union existiert nicht. Für die Existenz der Europäischen Umon und für die ihr über-
tragenen Aufgaben besteht vielmehr ein grundsätzlicher Rechtfertigungsbedarf.
Formell legitimieren sich die Aufgaben und hoheitlichen Befugnisse der
Europäischen Union durch die Übertragung entsprechender Hoheitsrechte durch
die Mitgliedstaaten. Diese formale Legitimation allein genügt nicht. Vielmehr muss
nach unseren Ergebnissen auch eine materielle Rechtfertigung für diese Hoheits-
übertragung gegeben sein. Diese materielle Rechtfertigung ist nicht in einem rechts-
staatlichen oder einem demokratischen Prinzip zu finden. Rechtsstaat und Demo-
kratie erklären nicht, warum em Hoheitsträger bestimmte Befugnisse haben soll,
sondern nur wie diese hoheitlichen Befugnisse ausgeübt werden sollen.
Der materielle Rechtfertigungsgrund für die Übertragung von Hoheitsrech-
ten liegt vielmehr darin begründet, dass die Mitghedstaaten bestimmte Aufgaben zu
einer gemeinsamen europäischen Sache machen. Diese gemeinsame europäische
Sache ist nun nicht vorgegeben, sondern ergibt sich aus der gemeinsamen Überzeu-
gung der Mitghedstaaten, dass bestimmte Aufgaben durch die Union besser, das heißt
im Sinne eines gemeinsamen Nutzes aller erledigt werden können. Die europäische
Gemeinschaft ist also in ihrem Bestand nicht demokratisch oder rechtsstaatlich, son-
dern, wie wir es nennen, „republikanisch“, durch eine gemeinsame europäische
Sache, legimitiert. Zu diesem Thema waren Prof. Dr. Peter Graf Kielmansegg, Präsident
der Akademie, Prof. Dr. Kay Hailbronner, Konstanz, und Prof. Dr. Stefan Voigt, Kassel, als
Diskutanten auf dem Podium unserer Tagung.
Die zweite zentrale Fragestellung unserer Arbeit bezog sich auf die Rolle der
mitgliedstaatlichen Souveränität für die Legitimation der EU. Die nationale
Souveränität der Mitghedstaaten bleibt in der EU erhalten, wenn auch in einge-
schränkter Form. Ihr kommt nach unserer Auffassung auch eine wichtige Funktion
bei der Gestaltung der Union und der Sicherung von Demokratie, d.h. Volkssouver-
änität, zu. Kern der Souveränität eines offenen Staates ist die Kompetenz-Kompe-
tenz, die im Hinblick auf den Staat als Mitglied eines Mehrebenensystems der poli-
tischen Aufgabenerledigung vor allem bedeutet, dass den einzelnen Staatsvölkern die
Entscheidung darüber vorbehalten bleibt, welche Aufgaben auf welcher Ebene erle-
digt werden sollen, und wie das jeweils zu geschehen hat. D.h. Souveränität impli-
ziert eine beim Nationalstaat verbleibende Ubertragungs- und Kontrollfunktion und
sichert den Staatsvölkern dadurch die Möglichkeit, Entscheidungen in zwei wichti-
gen Bereichen zu treffen: einmal über die Übertragung von Souveränitätsrechten an
sich, und sodann darüber, wie die Legitimität und Effizienz der Ausübung der so
delegierten Rechte sicherzustellen ist. Diese Fragestellung diskutierten Prof. Dr. Fran-
 
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