270 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
eine zweite Erkenntnis des Beitrags erschien für die hier verhandelte Thematik fast
noch wichtiger: Caramani konnte zeigen, dass die Parteien aktiv, durch die zuneh-
mende Ausdehnung ihrer Organisation auf das gesamte nationale Territorium und
vor allem durch ihre schnell und umfassend entwickelte Massenkommunikation, an
der Herausbildung national einheitlicher Strukturierungen des politischen Feldes
entscheidenden Anteil hatten, auch und gerade, wenn sie programmatisch gesehen
nicht-national argumentierten.
Ebenso kontrapunktisch wie direkt anschließen konnte an diese Ergebnisse
Matthias Schöning, der am Beispiel von Ernst Jüngers literarischen und politischen
Arbeiten der Jahre bis 1934 den soldatischen Nachkriegsnationalismus als Krisen-
symptom behandelte. Hier zeigte sich nun umgekehrt, dass die Verschärfung natio-
nalistischer Programme geringer Reichweite als kompensatorische Manöver zu deu-
ten sind, die auf die gesteigerte Unwahrscheinlichkeit realer nationaler Vergemein-
schaftung reagieren. Dabei konnte Schöning zeigen, dass weniger die Frontstellung
gegenüber der Verfassungsform der Weimarer Republik den entscheidenden Punkt
markiert, an dem sich Jüngers Texte entzünden, als vielmehr die aus dem Krieg mit-
gebrachte Erfahrung sozialer Desintegration. Die Explosivität der Jüngerschen
Schriften bis hm zu seinem Arbeiter resultiert demnach aus der zwar kaschierten, aber
durchgängig spürbaren Konfrontation des Gemeinschaftspathos der Ideen von 1914
mit der desillusionierenden Realität des Krieges, der nicht zusammenschweißte, son-
dern versprengte Einzelne hinterließ, die sich wiederum als Statthalter der Nation
imaginierten.
Komplementär zu diesem mikrologischen Zugriff gab Peter Hoeres einen weit
ausgreifenden Überblick über Universalismus, Europäismus und Nationalismus als
den wichtigsten kommunikativen Strategien, die während des Ersten Weltkriegs die
(internationale) Öffentlichkeit dominierten. Dabei zeigte Hoeres sich skeptisch
gegenüber den annoncierten Reichweiten der Argumente, um stattdessen ihren
instrumentellen Charakter in der Hand der Kriegsparteien aufzuzeigen. Folgt man
dem Historiker Hoeres, so hat man es vielfach mit einer Art nationalem Kriegsuni-
versalismus zu tun, hinter dessen reklamierter Verallgemeinerungsfähigkeit sich ein
perfider Partikularismus versteckt. - Um die Auslotung von Abgründen machte sich
auch Heiko Christians verdient, der in gattungsgeschichtlicher Perspektive die Korre-
lation von Epos und Gemeinschaft untersuchte. Christians verfolgt die Konjunktur
des Epos als des programmatischen Gegenbegriffs zum Roman, der seit seiner her-
meneutischen Nobilitierung durch die Romantik zugleich in einer ästhetischen
Grauzone der Vermischungen angesiedelt ist und thematisch das Feld zwischen Indi-
viduum und moderner Gesellschaft vermisst. Der Traum vom Epos dagegen oppo-
niert solcher Unübersichtlichkeit und zwingt die ausdifferenzierten Felder Ästhetik
und Politik zu einem Gipfeltreffen zusammen, das die Aussicht auf Totalität ver-
spricht. Epos und Gemeinschaft bilden den notwendigen Unterstrom einer Moder-
ne, die ihre Nicht-Identität wesentlich in Projektionen irrealer Totalitäten reflektiert.
Während der Roman alltäglich den Siegeszug der ausdifferenzierten Gesellschaft
demonstriert, die es dem Einzelnen zur unendlichen Aufgabe macht, im Gewirr der
widerstreitenden Ansprüche seine Individualität zu erfinden, hüllt sich das Phantas-
eine zweite Erkenntnis des Beitrags erschien für die hier verhandelte Thematik fast
noch wichtiger: Caramani konnte zeigen, dass die Parteien aktiv, durch die zuneh-
mende Ausdehnung ihrer Organisation auf das gesamte nationale Territorium und
vor allem durch ihre schnell und umfassend entwickelte Massenkommunikation, an
der Herausbildung national einheitlicher Strukturierungen des politischen Feldes
entscheidenden Anteil hatten, auch und gerade, wenn sie programmatisch gesehen
nicht-national argumentierten.
Ebenso kontrapunktisch wie direkt anschließen konnte an diese Ergebnisse
Matthias Schöning, der am Beispiel von Ernst Jüngers literarischen und politischen
Arbeiten der Jahre bis 1934 den soldatischen Nachkriegsnationalismus als Krisen-
symptom behandelte. Hier zeigte sich nun umgekehrt, dass die Verschärfung natio-
nalistischer Programme geringer Reichweite als kompensatorische Manöver zu deu-
ten sind, die auf die gesteigerte Unwahrscheinlichkeit realer nationaler Vergemein-
schaftung reagieren. Dabei konnte Schöning zeigen, dass weniger die Frontstellung
gegenüber der Verfassungsform der Weimarer Republik den entscheidenden Punkt
markiert, an dem sich Jüngers Texte entzünden, als vielmehr die aus dem Krieg mit-
gebrachte Erfahrung sozialer Desintegration. Die Explosivität der Jüngerschen
Schriften bis hm zu seinem Arbeiter resultiert demnach aus der zwar kaschierten, aber
durchgängig spürbaren Konfrontation des Gemeinschaftspathos der Ideen von 1914
mit der desillusionierenden Realität des Krieges, der nicht zusammenschweißte, son-
dern versprengte Einzelne hinterließ, die sich wiederum als Statthalter der Nation
imaginierten.
Komplementär zu diesem mikrologischen Zugriff gab Peter Hoeres einen weit
ausgreifenden Überblick über Universalismus, Europäismus und Nationalismus als
den wichtigsten kommunikativen Strategien, die während des Ersten Weltkriegs die
(internationale) Öffentlichkeit dominierten. Dabei zeigte Hoeres sich skeptisch
gegenüber den annoncierten Reichweiten der Argumente, um stattdessen ihren
instrumentellen Charakter in der Hand der Kriegsparteien aufzuzeigen. Folgt man
dem Historiker Hoeres, so hat man es vielfach mit einer Art nationalem Kriegsuni-
versalismus zu tun, hinter dessen reklamierter Verallgemeinerungsfähigkeit sich ein
perfider Partikularismus versteckt. - Um die Auslotung von Abgründen machte sich
auch Heiko Christians verdient, der in gattungsgeschichtlicher Perspektive die Korre-
lation von Epos und Gemeinschaft untersuchte. Christians verfolgt die Konjunktur
des Epos als des programmatischen Gegenbegriffs zum Roman, der seit seiner her-
meneutischen Nobilitierung durch die Romantik zugleich in einer ästhetischen
Grauzone der Vermischungen angesiedelt ist und thematisch das Feld zwischen Indi-
viduum und moderner Gesellschaft vermisst. Der Traum vom Epos dagegen oppo-
niert solcher Unübersichtlichkeit und zwingt die ausdifferenzierten Felder Ästhetik
und Politik zu einem Gipfeltreffen zusammen, das die Aussicht auf Totalität ver-
spricht. Epos und Gemeinschaft bilden den notwendigen Unterstrom einer Moder-
ne, die ihre Nicht-Identität wesentlich in Projektionen irrealer Totalitäten reflektiert.
Während der Roman alltäglich den Siegeszug der ausdifferenzierten Gesellschaft
demonstriert, die es dem Einzelnen zur unendlichen Aufgabe macht, im Gewirr der
widerstreitenden Ansprüche seine Individualität zu erfinden, hüllt sich das Phantas-