278 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
chen Biographiensammlungen von Gelehrten zukam. Daß sich unter den Mamlu-
ken in Ägypten und Syrien Änderungen im Bild und Verständnis des Arztes ergeben,
zeigt sich bereits an diesem Quellentyp: Zwar wurden auch weiterhin Sammlungen
von Biographien großer Gelehrter zusammengestellt, es gab aber keine allein den
Ärzten gewidmeten Kompilate mehr. Ärztebiographien findet man nunmehr in
Sammlungen zu Koryphäen auf dem Gebiet der religiösen Studien; daß der in die-
sem Kontext gewürdigte Gelehrte aber nicht nur Spezialist etwa im religiösen
Recht, sondern zudem auch em berühmter Arzt war, erfährt man eher nebenbei.
Und hatte sich ein Arzt nicht auch hinsichtlich seiner religiösen Gelehrsamkeit aus-
gezeichnet, wurde seine Lebensbeschreibung nur ausnahmsweise in eine Biogra-
phiensammlung aufgenommen. Dies gilt natürlich insbesondere für christliche oder
jüdische Ärzte, deren Leben in den älteren Sammlungen noch allein aufgrund ihrer
medizinischen Kompetenz dargestellt worden waren. Medizin wird dann jedoch
immer mehr zum Nebenaspekt: Ein gebildeter Mann war zunächst Gelehrter im
religiösen Bereich; zu seiner Ausbildung zählten jedoch — sekundär - auch nicht-reli-
giöse Themen wie beispielsweise die theoretische Medizin. Als ganze eröffnete die
gelehrte Bildung den Zugang zu den höchsten Staatsämtern. Die praktische Medi-
zin wurde folglich von denjenigen ausgeübt, denen eine Staatslaufbahn aus ökono-
mischen Gründen verwehrt blieb, oder die als Nicht-Muslime von ihr ausgeschlos-
sen waren. Zudem dominierten Scharlatanerie und abergläubische Praktiken die
praktische Medizin.
Den Kontrapunkt zu den wissenschaftshistorischen Untersuchungen der
Gruppe bildet das dritte Teilprojekt (Pavlina Rychterovä), das die spätmittelalterliche
Frömmigkeit als Form der symbolischen Erschließung der Welt thematisiert, und
zwar im Ausgang vom Begriff des ‘Charisma’, der zunächst einer terminologischen
Analyse unter interdisziplinärem Aspekt unterzogen werden mußte. Diese Untersu-
chungen sind inzwischen abgeschlossen. In inhaltlicher Hinsicht steht weiterhin die
Frage nach dem Verständnis der Sinneswahrnehmung in der religiösen Praxis im
Mittelpunkt des Interesses: ,Geoffenbartes’ Wissen steht dergestalt über jedem ande-
ren Wissen, daß es zwar keiner sekundären Begründung bedarf; es muß jedoch mit
dem Wissen übereinstimmen, das auf einer sinnlich fundierten Erfahrungserkenntnis
beruht. Vor diesem Hintergrund werden theologische Inhalte in die Frömmigkeit-
spraxis integriert; außerdem werden sie bewußt eingesetzt, um das Durchsetzungs-
potential bestimmter Frömmigkeitskonzepte zu erhöhen. Am Beispiel des „Liber
quaestionum“ der heiligen Brigitta von Schweden wurden diese Zusammenhänge
für die spätmittelalterliche Hagiographie und das mystisch-visionäre Schrifttum dis-
kutiert: Hier dient die Liturgie als eines der wichtigen formierenden Prinzipien zur
Definition der Beziehung zwischen Ereignis und Text. Eine Vermittlung der charis-
matischen Erkenntnis durch das Ritual stellt die Verbindung zwischen Vergangenheit
und Gegenwart her. Das Charisma und die charismatisch vermittelte Erkenntnis las-
sen sich folglich als Surrogate für die verlorene vertikale Erkenntnisdimension ver-
stehen.
Weiterhin wurde die Übertragung theologischer Konzepte aus dem Latein in
die Volkssprache untersucht. Diese sprachvergleichende Untersuchung ist für das Ver-
chen Biographiensammlungen von Gelehrten zukam. Daß sich unter den Mamlu-
ken in Ägypten und Syrien Änderungen im Bild und Verständnis des Arztes ergeben,
zeigt sich bereits an diesem Quellentyp: Zwar wurden auch weiterhin Sammlungen
von Biographien großer Gelehrter zusammengestellt, es gab aber keine allein den
Ärzten gewidmeten Kompilate mehr. Ärztebiographien findet man nunmehr in
Sammlungen zu Koryphäen auf dem Gebiet der religiösen Studien; daß der in die-
sem Kontext gewürdigte Gelehrte aber nicht nur Spezialist etwa im religiösen
Recht, sondern zudem auch em berühmter Arzt war, erfährt man eher nebenbei.
Und hatte sich ein Arzt nicht auch hinsichtlich seiner religiösen Gelehrsamkeit aus-
gezeichnet, wurde seine Lebensbeschreibung nur ausnahmsweise in eine Biogra-
phiensammlung aufgenommen. Dies gilt natürlich insbesondere für christliche oder
jüdische Ärzte, deren Leben in den älteren Sammlungen noch allein aufgrund ihrer
medizinischen Kompetenz dargestellt worden waren. Medizin wird dann jedoch
immer mehr zum Nebenaspekt: Ein gebildeter Mann war zunächst Gelehrter im
religiösen Bereich; zu seiner Ausbildung zählten jedoch — sekundär - auch nicht-reli-
giöse Themen wie beispielsweise die theoretische Medizin. Als ganze eröffnete die
gelehrte Bildung den Zugang zu den höchsten Staatsämtern. Die praktische Medi-
zin wurde folglich von denjenigen ausgeübt, denen eine Staatslaufbahn aus ökono-
mischen Gründen verwehrt blieb, oder die als Nicht-Muslime von ihr ausgeschlos-
sen waren. Zudem dominierten Scharlatanerie und abergläubische Praktiken die
praktische Medizin.
Den Kontrapunkt zu den wissenschaftshistorischen Untersuchungen der
Gruppe bildet das dritte Teilprojekt (Pavlina Rychterovä), das die spätmittelalterliche
Frömmigkeit als Form der symbolischen Erschließung der Welt thematisiert, und
zwar im Ausgang vom Begriff des ‘Charisma’, der zunächst einer terminologischen
Analyse unter interdisziplinärem Aspekt unterzogen werden mußte. Diese Untersu-
chungen sind inzwischen abgeschlossen. In inhaltlicher Hinsicht steht weiterhin die
Frage nach dem Verständnis der Sinneswahrnehmung in der religiösen Praxis im
Mittelpunkt des Interesses: ,Geoffenbartes’ Wissen steht dergestalt über jedem ande-
ren Wissen, daß es zwar keiner sekundären Begründung bedarf; es muß jedoch mit
dem Wissen übereinstimmen, das auf einer sinnlich fundierten Erfahrungserkenntnis
beruht. Vor diesem Hintergrund werden theologische Inhalte in die Frömmigkeit-
spraxis integriert; außerdem werden sie bewußt eingesetzt, um das Durchsetzungs-
potential bestimmter Frömmigkeitskonzepte zu erhöhen. Am Beispiel des „Liber
quaestionum“ der heiligen Brigitta von Schweden wurden diese Zusammenhänge
für die spätmittelalterliche Hagiographie und das mystisch-visionäre Schrifttum dis-
kutiert: Hier dient die Liturgie als eines der wichtigen formierenden Prinzipien zur
Definition der Beziehung zwischen Ereignis und Text. Eine Vermittlung der charis-
matischen Erkenntnis durch das Ritual stellt die Verbindung zwischen Vergangenheit
und Gegenwart her. Das Charisma und die charismatisch vermittelte Erkenntnis las-
sen sich folglich als Surrogate für die verlorene vertikale Erkenntnisdimension ver-
stehen.
Weiterhin wurde die Übertragung theologischer Konzepte aus dem Latein in
die Volkssprache untersucht. Diese sprachvergleichende Untersuchung ist für das Ver-