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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

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I. Das Geschäftsjahr 2008
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Wachinger, Burghart: Walter Haug (23.11.1927 - 11.1.2008)
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https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0142
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Walter Haug

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Ein zweiter Kernpunkt von Haugs Bemühungen um den höfischen Roman
war der „Tristan“ Gottfrieds von Strassburg. Untersuchungen zur Genese des Stoffs
und zu Gottfrieds Vorlage, der Fassung des Thomas von England, Studien zum Ver-
hältnis von Erzählung und Exkursen und zur Darstellung von geplantem Handeln,
bewältigter Kontingenz und Einbruch des Eros umkreisen und durchdringen Gott-
frieds Romanfragment, und ein weit ausgreifender Essay stellt den „Tristan“ in den
Horizont von sieben souverän vorgestellten erotischen Diskursen des Mittelalters
(von kirchlich-kanonistisch und medizinisch bis burlesk-literarisch). Neben dem
Artusroman ist vor allem der „Tristan“ für Haug ein Zeugnis für die Entdeckung der
personalen Liebe, einer Liebe, die nicht über das Du hinweg nach dem Vollkomme-
nen strebt, sondern das Du in seiner Besonderheit und Bedingtheit akzeptiert und
sich doch dem Absolutheitsanspruch der Liebe und der Unverfügbarkeit des Du aus-
liefert. Solche Liebe aber ist bestenfalls im Übergang erfahrbar und erzählbar oder
leuchtet im Scheitern auf. So konnte Haug seinem Abschiedsvortrag den Titel geben
„Die Geburt des Romans aus dem Scheitern am Absoluten“.
Haugs Sicht auf den höfischen Roman wurde zunehmend mitgeprägt von sei-
nen Studien zur mittelalterlichen geistlichen Literatur, vor allem zur Mystik. 1981
hat er sich erstmals mit einem Vortrag über die Sprachproblematik bei Meister Eck-
hart auf dieses Terrain begeben, schnell hatte seine Stimme im Kreis der Kenner
Gewicht, und zuletzt sind Probleme mystischer Literatur und religiöser Erfahrung
mit ins Zentrum seiner Interessen gerückt. Von Dionysius Areopagita bis Giordano
Bruno reicht das Spektrum seiner Arbeiten. Immer wieder kreisen sie um das Pro-
blem, dass Gotteserfahrung nicht vermittelbar ist und allenfalls im Verzicht auf einen
Weg als Geschenk empfangen werden kann. „Transzendenzerfahrung in Bildern des
Abschieds“ lautet einer der Aufsatztitel. Geistliche und weltliche Literatur rückten
von daher für Haug nahe zusammen. Das Theologumenon von der „Ähnlichkeit bei
je größerer Unähnlichkeit“ im Verhältnis von Welt und Gott wurde ihm ein Angel-
punkt auch literarästhetischer Fragen; und wenn er sagt, dass im 12. Jahrhundert dem
Modell eines stufenweisen Aufstiegs zu Gott aufgrund der Einsicht in die Unverfüg-
barkeit von Gnade ein Modell des Abstiegs und der Selbstpreisgabe entgegengesetzt
werde, sieht er das in Analogie zur personalen Wende im Diskurs über irdische Liebe.
Am Ende seines Vortrags an seinem achtzigsten Geburtstag sagte Walter Haug:
„Ich schließe mit einem Nietzsche-Wort: ,Wir haben die Kunst4 — und ich sage: ins-
besondere die Literatur , Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit
verzweifeln.1 “ Leidenschaftliche Liebe zur Literatur und unablässiges Nachdenken
über die conditio humana haben Haug zu einer außerordentlichen wissenschaftli-
chen Produktivität beflügelt. Seine unverkennbare Stimme ist nun verstummt. Das
wissenschaftliche Gespräch mit ihm, sein Lachen und seinen souveränen Rat in
schwierigen Situationen werde ich, werden viele vermissen. In seinen Schriften kann
die Altgermanistik, können generell die Wissenschaften von der Literatur und vom
Mittelalter auch weiterhin Anregung, Orientierung und Provokation finden.

BURGHART WACHINGER
 
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