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Er hat diese Orientierung aber gleichsam noch unterfuttert, indem er sich —
einer ausgeprägten Begabung und entsprechenden Neigungen folgend — vor allem
die sprachlichen Grundlagen erarbeitete. Seine historisch-vergleichenden sprachwis-
senschaftlichen Studien, seine sicheren Kenntnisse der Indogermanistik und der ori-
entalischen Sprachen (Gschnitzer hat als Nebenfach Semitistik studiert) sorgten
dafür, dass die weltgeschichtliche Perspektive immer eine feste, zuverlässige und
gelehrte Grundierung hatte. Und seine erste akademische Tätigkeit, als wissenschaft-
licher Mitarbeiter, wie wir heute sagen würden, führte ihn an das Sprachwissen-
schaftliche Seminar der Universität Innsbruck. Gerade das gab auch dem Althisto-
riker Fritz Gschnitzer seine besondere Statur. Das war umso auffälliger, als sich die
Linguistik gerade während seiner akademischen Laufbahn von dieser historischen
Richtung zunehmend und ziemlich weitgehend distanzierte. Bei ihm, dem Histori-
ker selbst, war sie aber gut aufgehoben, und was sie alles leisten konnte und hätte
leisten können, hat er fast beiläufig und ganz unprogrammatisch-unprätentiös
gezeigt.
Die Verbindung zwischen der Weite des historischen Horizonts und der Tiefe
in der Auslotung sprachlicher, ja wörtlicher Details führte Gschnitzer zu immer
neuen Beobachtungen und Erkenntnissen, mit denen er den Forschungsstand in sei-
nem Fach in vielen Bereichen maßgeblich bestimmt hat. So erschloss er wesentliche
Phänomene der griechischen Institutionen, der Rechts- und Verfassungsgeschichte
immer wieder von zuverlässigen begrifflichen Analysen her und entdeckte damit
Phänomene, die vorher weitgehend verschlossen oder vernachlässigt waren, wie dies
schon in seiner 1957 vollendeten und ein Jahr später veröffentlichten Habilitations-
schrift „Abhängige Orte im griechischen Altertum“ sichtbar wird.
Er stand hier immer in der Tradition der Sprach- und Geschichtswissenschaf-
ten, und so mochte manches konventionell erscheinen. Aber indem er auf ganz eige-
ne Weise vom Wort zum Sachverhalt fortschritt, gelangen ihm ganz originelle Ein-
sichten, mit denen er nicht selten seiner Zeit voraus war: Die große Spannbreite der
Formen der griechischen Vergemeinschaftungen war ihm nur zu geläufig; sowohl
räumlich als auch typologisch hatte er das „Dritte Griechenland“ ausgemessen. Die
Vertrautheit mit prähistorischen und klassisch-archäologischen Ausgrabungen, u. a.
in Ephesos, trug dazu ihrerseits bei. Besonders wichtig sind seine Arbeiten zur grie-
chischen Ethnizität und ihrer Bedeutung als politisch-soziale Organisationsform. Sie
fußen ihrerseits wieder auf linguistischen und onomastischen Studien und sind bis
heute richtungweisend.
Andererseits bewegte sich Gschnitzer auf Gebieten, die heute immer noch als
besonders innovationsträchtig gelten, nämlich auf dem Felde von gesellschaftlichen
Vorstellungen und Werthorizonten. Auch hier standen sprachliche bzw. sprachwis-
senschaftliche Begriffsuntersuchungen im Vordergrund, die aber zu tiefen und tref-
fenden Einblicken in soziale Normenhaushalte und Urteilskategorien führte.
Gschnitzer nutzte in diesem Sinne seine Mitwirkung an den Forschungen der
Mainzer Akademie zur antiken Sklaverei. Seine „Studien zur griechischen Termino-
logie der Sklaverei“, in zwei Bänden 1963 und 1976 erschienen, legen davon Zeug-
nis ab.
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Er hat diese Orientierung aber gleichsam noch unterfuttert, indem er sich —
einer ausgeprägten Begabung und entsprechenden Neigungen folgend — vor allem
die sprachlichen Grundlagen erarbeitete. Seine historisch-vergleichenden sprachwis-
senschaftlichen Studien, seine sicheren Kenntnisse der Indogermanistik und der ori-
entalischen Sprachen (Gschnitzer hat als Nebenfach Semitistik studiert) sorgten
dafür, dass die weltgeschichtliche Perspektive immer eine feste, zuverlässige und
gelehrte Grundierung hatte. Und seine erste akademische Tätigkeit, als wissenschaft-
licher Mitarbeiter, wie wir heute sagen würden, führte ihn an das Sprachwissen-
schaftliche Seminar der Universität Innsbruck. Gerade das gab auch dem Althisto-
riker Fritz Gschnitzer seine besondere Statur. Das war umso auffälliger, als sich die
Linguistik gerade während seiner akademischen Laufbahn von dieser historischen
Richtung zunehmend und ziemlich weitgehend distanzierte. Bei ihm, dem Histori-
ker selbst, war sie aber gut aufgehoben, und was sie alles leisten konnte und hätte
leisten können, hat er fast beiläufig und ganz unprogrammatisch-unprätentiös
gezeigt.
Die Verbindung zwischen der Weite des historischen Horizonts und der Tiefe
in der Auslotung sprachlicher, ja wörtlicher Details führte Gschnitzer zu immer
neuen Beobachtungen und Erkenntnissen, mit denen er den Forschungsstand in sei-
nem Fach in vielen Bereichen maßgeblich bestimmt hat. So erschloss er wesentliche
Phänomene der griechischen Institutionen, der Rechts- und Verfassungsgeschichte
immer wieder von zuverlässigen begrifflichen Analysen her und entdeckte damit
Phänomene, die vorher weitgehend verschlossen oder vernachlässigt waren, wie dies
schon in seiner 1957 vollendeten und ein Jahr später veröffentlichten Habilitations-
schrift „Abhängige Orte im griechischen Altertum“ sichtbar wird.
Er stand hier immer in der Tradition der Sprach- und Geschichtswissenschaf-
ten, und so mochte manches konventionell erscheinen. Aber indem er auf ganz eige-
ne Weise vom Wort zum Sachverhalt fortschritt, gelangen ihm ganz originelle Ein-
sichten, mit denen er nicht selten seiner Zeit voraus war: Die große Spannbreite der
Formen der griechischen Vergemeinschaftungen war ihm nur zu geläufig; sowohl
räumlich als auch typologisch hatte er das „Dritte Griechenland“ ausgemessen. Die
Vertrautheit mit prähistorischen und klassisch-archäologischen Ausgrabungen, u. a.
in Ephesos, trug dazu ihrerseits bei. Besonders wichtig sind seine Arbeiten zur grie-
chischen Ethnizität und ihrer Bedeutung als politisch-soziale Organisationsform. Sie
fußen ihrerseits wieder auf linguistischen und onomastischen Studien und sind bis
heute richtungweisend.
Andererseits bewegte sich Gschnitzer auf Gebieten, die heute immer noch als
besonders innovationsträchtig gelten, nämlich auf dem Felde von gesellschaftlichen
Vorstellungen und Werthorizonten. Auch hier standen sprachliche bzw. sprachwis-
senschaftliche Begriffsuntersuchungen im Vordergrund, die aber zu tiefen und tref-
fenden Einblicken in soziale Normenhaushalte und Urteilskategorien führte.
Gschnitzer nutzte in diesem Sinne seine Mitwirkung an den Forschungen der
Mainzer Akademie zur antiken Sklaverei. Seine „Studien zur griechischen Termino-
logie der Sklaverei“, in zwei Bänden 1963 und 1976 erschienen, legen davon Zeug-
nis ab.