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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0023
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Einleitung | 19

anderem mit Episoden, wie etwa dem Kapuzenstreit, tiefere Einblicke in die »Re-
form« des Klosters bieten.10 In beiden Fällen waren es offensichtlich schwere in-
nerklösterliche Konflikte, die die Autoren dazu veranlassten, das Geschehene ge-
nau zu dokumentieren. Während Rudolf zeitnah aus der Sicht eines erfolgreichen
»Reformers« schrieb, spiegelt der Text aus Lobbes, der 30 Jahre nach den Ereignis-
sen verfasst wurde, die Sicht der Betroffenen wider, die sich längerfristig gegen die
»Reform« von außen durchsetzen konnten.11 Derartige Berichte sind somit zwar
äußerst tendenziöse Texte, bieten dem Leser aber immerhin wichtige Einblicke in
die Vorstellungen und Möglichkeiten von klösterlicher »Reform«. Jedoch bedienen
auch sie sich letztlich jenes äußerst unspezifischen und vagen Vokabulars, das dem
Gros der Texte, die die »Reform« eines Klosters thematisieren, zu eigen ist. Die
Forschung hat daher versucht, Begriffe wie religio, ordo, disciplina und Formulie-
rungen wie correctio interius et exterius mit Inhalt zu füllen.
Neben historiographischen Texten glaubten Historiker, »Reformen« auch mit-
hilfe anderer Quellen fassen zu können. Klösterliche Gewohnheiten und Nekro-
logien wurden daher ebenso herangezogen wie Urkunden und Chartulare. Dies
führte dazu, dass Historiker unter dem Phänomen der »Reform« mitunter ganz
unterschiedliche Dinge verstanden: die Wiederherstellung der Regelobservanz,
die Annahme und Befolgung der Gewohnheiten anderer Gemeinschaften, perso-
nelle Veränderungen, die Intensivierung der Beziehungen zwischen den Klöstern,
Veränderungen des rechtlichen Status einer Abtei, Veränderungen ihrer Besitzver-
hältnisse, ihrer Herrschaftsstruktur.12 Michel Margue fasste dies folgendermaßen
zusammen: »eile [la reforme] touchait en effet autant les structures religieuses que
politiques et economiques, pouvait emaner de l’action individuelle autant que des
courants culturels generaux; eile pouvait repondre ä un besoin de renouvellement
venant des moines ou relever du changement impose par l’autorite supreme.«13
Darüber hinaus verband die Forschung mit dem Begriff der »Reform« vor al-
lem ab den 1950er Jahren die Vorstellung, dass »Reformen« von Klöstern als Teil
größerer »Reformbewegungen« zu verstehen seien. Klöster ließen sich demnach
10 Rudolf, Gesta abbatum Trudonensium. Continuatio prima; zum Kapuzenstreit S. Patzold, Konflikte im
Kloster, S. 200-211.
11 Der in Lobbes eingesetzte Abt Leonius konnte sich nur wenige Jahre halten und wird 1137 Abt von Saint-
Bertin; dazu Simon, Gesta abbatum, III, c. 1-3, S. 661-662; Der Neffe des Abtes Alvisus von Anchin,
Johannes, wurde 1131 nach Lobbes geschickt und stand dem Kloster zwischen 1159 und 1177 vor, was
S. Vanderputten, A Time of Great Confusion, S. 56, Anm. 47 dazu veranlasst zu glauben, dass Alvisus
weiterhin die Fäden in der Hand hielt. Dennoch stellt sich die Frage, warum die unter diesem Abt in
Auftrag gegebene Chronik ein wenig schmeichelhaftes Bild von Alvisus zeichnet.
12 S. Patzold, Die monastischen Reformen, S. 199; L. Donnat, L’idee de reforme monastique, S. 69 bemerkt:
»>Reforme<, c’est un des maitres mots du Moyen Äge, mais la notion reste floue.«
13 M. Margue, Aspects politiques de la »reforme«, S. 33.
 
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