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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0024
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20 | Einleitung

»Reformzentren«, »Reformbewegungen« und »Reformgruppen« zuordnen, ein
Modell, das man letztlich auch durch die mittelalterliche Historiographie bestätigt
sah. Die eingangs zitierte Passage aus Hermanns von Tournai De miraculis sanctae
Mariae Laudunensis zeigt dies besonders eindrücklich. Nachdem Hermann den
Erfolg der correctio von Saint-Nicolas-aux-Bois betont hat, fährt er folgenderma-
ßen fort:
»Daher machte Theobald, der Graf der Champagne, auf den Rat Norberts einen
Mönch aus dieser Abtei, der vom zuvor genannten Simon aufgenommen worden
war, mit Namen Radulf zum Abt der äußerst reichen Gemeinschaft von Lagny.
Auch der Bischof von Noyon [...] bat Bischof Bartholomäus darum, zwei Mön-
che aus Saint-Nicolas-aux-Bois zu schicken. Der eine, Dietrich, wurde Abt von
Saint-Eloi in Noyon, der andere, Absalon, wurde Abt von Saint-Amand in Elnone
in der Diözese Tournai. Davon, wie sehr sich diese Klöster, die ihnen anvertraut
wurden, sowohl im Innern als auch im Äußern verbesserten und zum Glänzen
gebracht wurden, kann man sich heute mehr durch Sehen als durch Hörensagen,
überzeugen.«14
Hermann zeichnet hier also das Bild einer Abtei, die durch das Aussenden von
Mönchen weithin in die Klosterlandschaft ausstrahlte und beflügelte damit die
Vorstellung, dass sich »Reformen« filiationsartig ausbreiteten. Vor allem die Studie
Kassius Hallingers war diesbezüglich wegweisend, versuchte er doch »Kloster-
reformen« mithilfe der Nekrologien und Consuetudines verfassungsgeschichtlich
zu fassen.15 Über die Zugehörigkeit einer Gemeinschaft zu der einen oder anderen
»Reformbewegung« wurde aber auch anhand diverser anderer Kriterien entschie-
den, wie beispielsweise anhand des rechtlichen Status, der Wirtschaftsweise, der
Liturgie und sogar der Architektur.16 In der Zwischenzeit hat die Forschung ver-
mehrt gezeigt, dass dieser verfassungsgeschichtliche Ansatz große Schwierigkeiten
birgt. Vor allem die intensivere Beschäftigung mit den beiden Quellengattungen der
Nekrologien und Consuetudines hat letztlich deutlich gemacht, dass diese Quel-

14 Heriman, Les miracles, III, c. 18, S. 236: »Unde comes Campagnie Theobaldus consilio Norberti, quen-
dam eiusdem cenobii monachum nomine Radulphum a prefato abbate susceptum, Latiniacensi ditissimo
monasterio prefecit abbatem. Domnus quoque Symon Noviomensis episcopus, vir nobilissimus, Radulfi
Vermandensis comitis germanus, a prefato pontifice Bartholomeo petiit duos sibi ex eodem cenobio Sancti
Eligii Noviamensis; alterum vero, qui vocabatur Absalon prefecit monasterio Sancti Amandi Helnonen-
sis, in episcopatu Tornacensi, qui quomodo sibi commissas ecclesias tarn interius, quam exterius correx-
erint, et nobilitaverint, visu potius quam auditu, potest hodie comprobari.«
15 K. Hallinger, Gorze-Kluny.
16 Die beiden letztgenannten kulturellen Aspekte von »Reform« wurden vor allem am Beispiel Hirsaus
untersucht. Zur Architektur sei verwiesen auf die in der Forschung lange Zeit angenommene »Hirsauer
Bauschule.« Kritisch und mit ausführlicher Literaturliste vgl. dazu S. Kummer, Kloster Hirsau und die
sogenannte Hirsauer Bauschule.
 
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