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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0145
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3. Die Veränderungen durch die correctio | 141

der Umsetzung nur wenig Interpretationsspielraum zugelassen, worauf zumindest
die präzisen Rückfragen an Cluny hindeuten.612 Bedenkt man, dass in Saint-Bertin
sehr wohl Mönche aus Cluny und flandrische Mönche, die in Cluny die Profess
abgelegt hatten, lebten und somit der ordo cluniacensis durch das Prinzip des docere
verbo et exemplo vermittelt werden konnte, ergeben sich zwei Folgerungen: Zum
einen deuten die verstärkte Hinwendung an das geschriebene Wort und die besag-
ten Rückfragen über Details des alltäglichen Lebens darauf hin, dass es durchaus
Diskrepanzen zwischen dem Ordo in seiner verschriftlichten und der durch die
cluniazensischen Professmönche in Cluny, aber auch in Saint-Bertin vermittelten
Form gab.
Zum anderen macht die an Cluny adressierte Anfrage Sithius deutlich, dass man
dort größeren Wert auf die schriftliche Form als auf die durch Gesten und Perfor-
manz tradierte Form des Ordos legte. Cochelins Annahme, dass die »Reformer«
der Zeit um 1100 durch ihre höhere Bildung mehr der verschriftlichten Form des
Ordos zugewandt waren und dass sich auch die Bedingungen beim Erlernen des
Mönchtums durch die große Zahl von conversi beträchtlich verändert hatten, lässt
sich am Beispiel Saint-Bertins durchaus bestätigen.613 Die Präferenz des geschrie-
benen Wortes relativiert aber zugleich die Autorität der in der Gemeinschaft von
Sithiu lebenden cluniazensischen Professmönche. Auf beides hat Lambert, wie
Simon zu berichten weiß, bei der correctio der umliegenden Klöster gesetzt.614
3.3. Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Gemeinschaft
Anstatt über die genauen Veränderungen zu berichten, die die Lebensweise der
Gemeinschaft von Sithiu betrafen, war es für Simon von größerer Bedeutung, die
Folgen der wiederhergestellten Regelobservanz hervorzuheben. Nachdem nämlich
einige Mönche von Saint-Bertin aus Angst vor der Strenge der Regel das Kloster
verlassen hatten, hätten dort andere Mönche Aufnahme gefunden, die sich nach
einem Leben gemäß der Regel sehnten, Ritter, die ihr weltliches Leben hinter sich

612 In den Consuetudines Bernhards wird die Vorverlegung des mandatum pau.peru.rn erklärt. B. Tutsch,
Zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines, S. 87, Anm. 35 bemerkt, dass diese Passage »den Mönchen
des rezipierenden Klosters bekannt gewesen sein musste, wenn man einen vollständigen Text vorliegen
hatte.« Die Rückfragen könnten somit auch auf eine unvollständige Handschrift zurückzuführen sein.
613 I. Cochelin, Evolution, S. 34; Dies., Peut-on parier; neben der großen Bildung Lamberts von Saint-
Bertin sei auf den enormen Anstieg von conversi hingewiesen; siehe dazu oben S. 41.
614 Siehe dazu unten S. 142.
 
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