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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0227
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1. Die Abtei von Marchiennes von den Anfängen bis 1100 | 223

Leitung der Gemeinschaft betraut.914 Im Mittelpunkt dieser correctio stand dabei
zweifelsohne die Umwandlung der Abtei in ein reines Männerkloster.915 Die Gesta
episcoporum Cameracensium begründen diese Maßnahme mit dem stereotypen Ar-
gument, die Nonnen hätten ein zunehmend weltliches und untugendhaftes Leben
geführt.916
Mit der Substitution der Nonnen durch Mönche ging die Einführung der Regula
Benedicti einher, was sich unter anderem auch in einer aus dieser Zeit überlieferten
Bücherliste niederschlug.917 Es ist denkbar, dass auch die Weihe der neuen Klos-
terkirche im Jahr 1029 aus liturgischer Sicht auf diese Veränderungen reagierte.918
Von besonderer Bedeutung waren mit Sicherheit aber die Anstrengungen, derer es
bedurfte, um die neue Mönchsgemeinschaft zu legitimieren und nach innen zu fes-
tigen. Eine Möglichkeit hierfür bestand in der Etablierung eines neuen Heiligenkul-
tes. Während in Marchiennes bis dahin mit der heiligen Rictrud und ihrer Tochter
Eusebia in erster Linie heilige Frauen verehrt wurden, bestand nun das Bedürfnis,
die Verehrung auf männliche Heilige auszudehnen. Hierfür boten sich Rictruds
Sohn Maurontus und der erste Abt des Klosters, Jonatus, sehr gut an.
Maurontus, dessen Leben Hucbald in der Vita Rictrudis skizziert, erfuhr bis
dahin keinerlei Verehrung in der Gemeinschaft.919 Nach 1024 sollte sich dies schlag-
artig ändern: Zum einen erhielt er einen festen Eintrag im liturgischen Kalender und
daran gebunden ein eigenes Offizium.920 Zum anderen wurde in der Gemeinschaft
eine Vita Mauronti verfasst. Sie beruht zwar hauptsächlich auf der Vita Rictrudis
Hucbalds, weist aber gegen Ende hin eigenständige Passagen auf: So soll Maurontus
kurz vor dem Tod seiner Mutter Rictrud nach Marchiennes gekommen sein, das

914 S. Vanderputten, B. Meijns, Realities of Refomist Leadership, S. 47- 74 betonen die Bedeutung dieses
Reformers, der in der Forschung für gewöhnlich im Schatten Richards von Saint-Vannes stand.
915 Seit Ende des 10. Jahrhunderts war Marchiennes de facto eine reine Frauengemeinschaft geworden, vgl.
dazu K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 113.
916 Gesta episcoporum Cameracensium, II, c. 26, S. 461: »Seculo autem semper, ut diximus, in deterius
viciato, ipsarum etiam puellarum ordo viciari et depravari coeperat; iam magis ac magis depravatus mos
in degeneri posteritate usque in presens duraverat. Nuper vero iamdictus abbas Leduwinus, Gerardo
episcopo et marchione Balduino satagentibus, feminas turpiter viventes mundato loco exturbavit [...].«
917 Zur Einführung der Regula Benedicti vgl. S. Vanderputten, T. Snijders, Echoes of Benedictine Reform,
S. 78-88; mit Blick auch auf die Bibliotheksbestände anderer flandrischer Klöster S. Vanderputten,
Monastic Reform as Process, S. 142-152.
918 Annales Marchianenses, S. 614: »1029. [...] Dedicatio ecclesie Marchianensis a Gerardo episcopo Came-
racensi.«
919 K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 131 verweist auf die Litaneien und Kalender des Klosters, die
den Namen Maurontus vor dem 11. Jahrhundert nicht aufführen. Maurontus selbst könnte eine fiktive
Gestalt sein, die Hucbald bewusst oder unbewusst aus verschiedenen Personen erschuf. Vgl. dazu ebd.,
S. 124.
920 S. Vanderputten, T. Snijders, Echoes of Benedictine Reform; zu den Heiligenkulten in Marchiennes zu
Beginn des 11. Jahrhunderts vgl. S. Vanderputten, Reform as Process, S. 135-142.
 
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