398 | III. Die Abtei Saint-Martin in Tournai
offensichtliche Parallele zum Bericht über die zweite Krise der Gemeinschaft von
Saint-Martin. Auch wenn es im Liber de restauratione immer wieder Passagen gibt,
in denen Hermann seinen einstigen Lehrer zu kritisieren scheint,1595 macht doch
die Geschichte um Saint-Amand deutlich, dass auch Odos Verhalten während der
Hungersnot kein Fehler, sondern im Grunde genommen äußerst vorbildlich war
und, wie die weitere Geschichte des Klosters zeigt, letztlich zum Guten führte.
An eine dritte ganz ähnliche Situation erinnert Hermann an anderer Stelle. Als
die Grafschaft zwischen 1125 und 1126 eine schwere Hungersnot traf, habe Abt
Segard die silbernen Kelche und weiteren Kirchenschmuck verkauft, um die Ar-
menspeisungen nicht einstellen zu müssen.1596 Das Thema der caritas nimmt somit
eine zentrale Rolle in Hermanns Werk ein. Sie war ein nach außen hin sichtbares
Zeichen für die Frömmigkeit der Brüder, das ihnen Respekt und Anerkennung und
nicht zuletzt Schenkungen und vielfältige Unterstützung von Seiten ihres sozialen
Umfelds einbrachte.1597 Eben dies war, wie die Vita Hugonis zu erkennen gibt, Ende
der 1130er Jahre nicht mehr gewährleistet. Der Liber de restauratione rief daher
nicht nur das Ideal der caritas in Erinnerung, sondern auch dessen positiven Fol-
gen, auf die die Gemeinschaft maßgeblich angewiesen war, und leistete damit einen
wichtigen Beitrag zur correctio der Gemeinschaft.
Schweigen
Zum besonders strengen Leben der Mönche in Saint-Martin gehörte das Gebot des
Schweigens, das unter Abt Odo besonders strikt gehandhabt wurde. Schweigen war
ein Ideal, das Odo bereits als Scholaster an der Kathedralschule von seinen Schülern
emptus post nonam eis deferretur. Ipsi tarnen consolante abbate Gualtero in tanta penuria non defici-
entes, sed assidue Deo servientes, et manibus propriis laborando paulatim proficientes, ad tantam iam
Deo donante provecti sunt abundantiam ut ex vineis suis tria milia modios vini frequenter habeant, et
tarn in terrarum et molendinorum quam et in pecorum possessione, cuncta pene Laudunensis episcopa-
tus cenobia precellant. Caritatis etiam et hospitalitatis, tanta ibi affluentia reperitur ut propter hospitum
assiduam susceptionem, propter pauperum cotidianam relevationem, mirum inmodum videatur ibi
Deus omnia multiplicare et augmentare, adeo ut iam inter precipua et excellentia Francie monasteria
computetur.«
1595 Hermann, Liber, c. 39, S. 78-80, c. 67, S. 118: »Et si quidem tune altaria, que ipsi tenuerant, recipere
voluisset, forsitan usque hodie ecclesia nostra exinde ditior esse potuisset.«
1596 Hermann, Liber, c. 102, S. 168: »Eo tempore fames vehementissima totam provinciam oppressit, ita
ut plures fame intumescerent, comes etiam Carolus per totam Flandriam pro avene penuria cervisi-
am componi prohiberet, dicens melius esset ut divites aquam biberent quam pauperes fame perirent.
Domnus etiam abbas noster Segardus misericordia motus calices argenteos et alia quedam ornamenta
vendidit et ex eis panem in alimoniam pauperum emit.«
1597 M. Mollat, Les moines et les pauvres.
offensichtliche Parallele zum Bericht über die zweite Krise der Gemeinschaft von
Saint-Martin. Auch wenn es im Liber de restauratione immer wieder Passagen gibt,
in denen Hermann seinen einstigen Lehrer zu kritisieren scheint,1595 macht doch
die Geschichte um Saint-Amand deutlich, dass auch Odos Verhalten während der
Hungersnot kein Fehler, sondern im Grunde genommen äußerst vorbildlich war
und, wie die weitere Geschichte des Klosters zeigt, letztlich zum Guten führte.
An eine dritte ganz ähnliche Situation erinnert Hermann an anderer Stelle. Als
die Grafschaft zwischen 1125 und 1126 eine schwere Hungersnot traf, habe Abt
Segard die silbernen Kelche und weiteren Kirchenschmuck verkauft, um die Ar-
menspeisungen nicht einstellen zu müssen.1596 Das Thema der caritas nimmt somit
eine zentrale Rolle in Hermanns Werk ein. Sie war ein nach außen hin sichtbares
Zeichen für die Frömmigkeit der Brüder, das ihnen Respekt und Anerkennung und
nicht zuletzt Schenkungen und vielfältige Unterstützung von Seiten ihres sozialen
Umfelds einbrachte.1597 Eben dies war, wie die Vita Hugonis zu erkennen gibt, Ende
der 1130er Jahre nicht mehr gewährleistet. Der Liber de restauratione rief daher
nicht nur das Ideal der caritas in Erinnerung, sondern auch dessen positiven Fol-
gen, auf die die Gemeinschaft maßgeblich angewiesen war, und leistete damit einen
wichtigen Beitrag zur correctio der Gemeinschaft.
Schweigen
Zum besonders strengen Leben der Mönche in Saint-Martin gehörte das Gebot des
Schweigens, das unter Abt Odo besonders strikt gehandhabt wurde. Schweigen war
ein Ideal, das Odo bereits als Scholaster an der Kathedralschule von seinen Schülern
emptus post nonam eis deferretur. Ipsi tarnen consolante abbate Gualtero in tanta penuria non defici-
entes, sed assidue Deo servientes, et manibus propriis laborando paulatim proficientes, ad tantam iam
Deo donante provecti sunt abundantiam ut ex vineis suis tria milia modios vini frequenter habeant, et
tarn in terrarum et molendinorum quam et in pecorum possessione, cuncta pene Laudunensis episcopa-
tus cenobia precellant. Caritatis etiam et hospitalitatis, tanta ibi affluentia reperitur ut propter hospitum
assiduam susceptionem, propter pauperum cotidianam relevationem, mirum inmodum videatur ibi
Deus omnia multiplicare et augmentare, adeo ut iam inter precipua et excellentia Francie monasteria
computetur.«
1595 Hermann, Liber, c. 39, S. 78-80, c. 67, S. 118: »Et si quidem tune altaria, que ipsi tenuerant, recipere
voluisset, forsitan usque hodie ecclesia nostra exinde ditior esse potuisset.«
1596 Hermann, Liber, c. 102, S. 168: »Eo tempore fames vehementissima totam provinciam oppressit, ita
ut plures fame intumescerent, comes etiam Carolus per totam Flandriam pro avene penuria cervisi-
am componi prohiberet, dicens melius esset ut divites aquam biberent quam pauperes fame perirent.
Domnus etiam abbas noster Segardus misericordia motus calices argenteos et alia quedam ornamenta
vendidit et ex eis panem in alimoniam pauperum emit.«
1597 M. Mollat, Les moines et les pauvres.