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8. Die correctio von Saint-Martin: Folgerungen
An eine correctio der Abtei von Saint-Martin in Tournai wird in der klostereigenen
Historiographie nicht erinnert. Dennoch lassen sich etwas mehr als vierzig Jah-
re nach der Wiederbegründung der Gemeinschaft Veränderungen fassen, die sehr
deutlich auf eine correctio hinweisen. Mitte der 1130er Jahre erfuhr die Martinsabtei
unter Abt Hermann eine schwere institutionelle Krise, die sowohl im spirituellen
als auch im wirtschaftlichen Bereich deutlich zu spüren war und nur durch eine cor-
rectio überwunden werden konnte. In Hermanns Darstellung von correctiones wird
die Verbindung zwischen den beiden Zielrichtungen - dem interius et exterius -
stets besonders hervorgehoben und eben dies lässt sich auch für die correctio seines
eigenen Klosters deutlich zeigen. Die Formel einer correctio interius et exterius
lässt sich dabei auf zwei Ebenen beziehen: zum einen auf die spirituelle Ebene. Ein
äußerlich sichtbares frommes und gottgefälliges Leben konnte nur erreicht werden,
wenn die Mönche über die enstprechende innere Haltung verfügten; zum andern
spiegelt das interius et exterius die Beziehungen der inner- und außerklösterlichen
Angelegenheiten wider; das heißt die Verbindung zwischen der Spiritualität einer
Gemeinschaft, ihrem Besitz und dem Verhältnis zu ihrem sozialen Umfeld. Das
Beispiel von Saint-Martin macht sehr deutlich, dass die innere correctio die Voraus-
setzung für alle anderen Veränderungen war. Dabei kam es aber weniger auf De-
tailfragen bei der Beachtung der Regel oder anderer normativer Texte an, sondern
vor allem auf die nach außen hin sichtbaren Zeichen für ein frommes Leben: Die
Praxis der caritas, die Einhaltung der Klausur, die freiwillig gewählte Armut der
Brüder waren solche Zeichen, die letztlich auch maßgeblich zum Erfolg der Ge-
meinschaft beitrugen. Nicht zuletzt spielte bei der Bewertung einer Gemeinschaft
auch jene Bezugsgröße eine Rolle, mit deren Namen sie sich und ihre Lebensweise
in Verbindung brachte: In Saint-Martin war dies der Name Clunys, der als Garant
für ein strenges und frommes Leben galt. Hermanns Darstellung der Geschichte
Saint-Martins zeigt aber zugleich die Kehrseite eines allzu frommen Lebens der
Brüder: Durch ihren Erfolg, der vor allem wirtschaftlich zu spüren war, entfernten
sie sich von ihren Idealen und führten die Gemeinschaft dadurch in die nächste Kri-
se. Die correctio einer Gemeinschaft generierte somit eine ganz eigene Dynamik, die
den erreichten Erfolg auf längere Sicht in sein genaues Gegenteil verkehren konnte.
Mit Hermanns Liber de restauratione erhielt die Gemeinschaft von Saint-Martin
ihr erstes großes historiographisches Werk, das zugleich ein wichtiges Medium für
ihre correctio war. Dieses Werk zielte in hohem Maße darauf ab, Saint-Martin zu
einem heiligen Ort zu stilisieren: Neben der langen Tradition heiligten vor allem die
8. Die correctio von Saint-Martin: Folgerungen
An eine correctio der Abtei von Saint-Martin in Tournai wird in der klostereigenen
Historiographie nicht erinnert. Dennoch lassen sich etwas mehr als vierzig Jah-
re nach der Wiederbegründung der Gemeinschaft Veränderungen fassen, die sehr
deutlich auf eine correctio hinweisen. Mitte der 1130er Jahre erfuhr die Martinsabtei
unter Abt Hermann eine schwere institutionelle Krise, die sowohl im spirituellen
als auch im wirtschaftlichen Bereich deutlich zu spüren war und nur durch eine cor-
rectio überwunden werden konnte. In Hermanns Darstellung von correctiones wird
die Verbindung zwischen den beiden Zielrichtungen - dem interius et exterius -
stets besonders hervorgehoben und eben dies lässt sich auch für die correctio seines
eigenen Klosters deutlich zeigen. Die Formel einer correctio interius et exterius
lässt sich dabei auf zwei Ebenen beziehen: zum einen auf die spirituelle Ebene. Ein
äußerlich sichtbares frommes und gottgefälliges Leben konnte nur erreicht werden,
wenn die Mönche über die enstprechende innere Haltung verfügten; zum andern
spiegelt das interius et exterius die Beziehungen der inner- und außerklösterlichen
Angelegenheiten wider; das heißt die Verbindung zwischen der Spiritualität einer
Gemeinschaft, ihrem Besitz und dem Verhältnis zu ihrem sozialen Umfeld. Das
Beispiel von Saint-Martin macht sehr deutlich, dass die innere correctio die Voraus-
setzung für alle anderen Veränderungen war. Dabei kam es aber weniger auf De-
tailfragen bei der Beachtung der Regel oder anderer normativer Texte an, sondern
vor allem auf die nach außen hin sichtbaren Zeichen für ein frommes Leben: Die
Praxis der caritas, die Einhaltung der Klausur, die freiwillig gewählte Armut der
Brüder waren solche Zeichen, die letztlich auch maßgeblich zum Erfolg der Ge-
meinschaft beitrugen. Nicht zuletzt spielte bei der Bewertung einer Gemeinschaft
auch jene Bezugsgröße eine Rolle, mit deren Namen sie sich und ihre Lebensweise
in Verbindung brachte: In Saint-Martin war dies der Name Clunys, der als Garant
für ein strenges und frommes Leben galt. Hermanns Darstellung der Geschichte
Saint-Martins zeigt aber zugleich die Kehrseite eines allzu frommen Lebens der
Brüder: Durch ihren Erfolg, der vor allem wirtschaftlich zu spüren war, entfernten
sie sich von ihren Idealen und führten die Gemeinschaft dadurch in die nächste Kri-
se. Die correctio einer Gemeinschaft generierte somit eine ganz eigene Dynamik, die
den erreichten Erfolg auf längere Sicht in sein genaues Gegenteil verkehren konnte.
Mit Hermanns Liber de restauratione erhielt die Gemeinschaft von Saint-Martin
ihr erstes großes historiographisches Werk, das zugleich ein wichtiges Medium für
ihre correctio war. Dieses Werk zielte in hohem Maße darauf ab, Saint-Martin zu
einem heiligen Ort zu stilisieren: Neben der langen Tradition heiligten vor allem die