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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0434
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430 | IV. Die Abtei von Anchin

Die beiden Urkunden von 1079 sind im eigentlichen Sinne keine Gründungs-
urkunden. Sie erkannten vielmehr die bestehende junge Gemeinschaft an und ga-
ben ihr somit einen offiziellen Charakter.1696 Für den Bischof war dieser Rechtsakt
zudem eine Gelegenheit, das Leben der dortigen Bekehrten in geregelte Bahnen
zu leiten. Der Urkunde zufolge war ihm sehr daran gelegen, dass die Mönche ihre
mehr oder weniger freie Form religiösen Lebens zugunsten eines Lebens nach der
Benediktregel auf gaben. Dadurch gelang es ihm in erster Linie, die Gemeinschaft
seiner Autorität zu unterstellen und Anchin zu einem wichtigen Stützpunkt der
bischöflichen Politik zu machen.1697 Dass Anchin zudem eine Gründung im Sinne
der Kirchenreform war und dem Prinzip der libertas ecclesiae folgte, wird vor al-
lem darin erkennbar, dass die Gründungsurkunde weder einen Klostervogt noch
Vogteirechte erwähnt.1698
Neben dem Bischof von Cambrai tat sich vor allem Anselm von Ribemont als
ausgesprochener Förderer der jungen Gemeinschaft hervor.1699 Gerzaguet sieht
mehrere Gründe für Anselms Unterstützung. Zunächst habe er darin die Möglich-
keit gesehen, an diesem Ort eine Familiengrablege zu gründen. Damit griff Anselm
nicht nur eine Tradition der Grafen von Flandern und Hennegau auf, die bevorzugt
neue Gründungen zu ihrer Grablege bestimmten, sondern stellte sich auch auf eine
Ebene mit den übrigen Großen der Grafschaft, die diese imitatio comitis betrie-
ben.1700 Ein weiterer Grund für die Förderung der Gemeinschaft ist nach Ger-
zaguet im strategisch politischen Bereich anzusiedeln. Anchin lag in der Grafschaft
Flandern in direkter Nachbarschaft zum Hennegau und somit in einer bedeutenden
Grenzregion. Da Anselm von Ribemont zu den Anhängern Gräfin Richilds vom
Hennegau gehörte, liege es nahe, so Gerzaguet, dass er mit der Förderung eines
Klosters in eben dieser Grenzregion einen wichtigen dem Hennegau zugewandten
Stützpunkt schaffen wollte. Anchin sollte nicht zuletzt den Einfluss und die Macht
der beiden anderen, auf dem flandrischen Ufer der Scarpe gelegenen Klöster, Mar-
1696 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 49 nimmt an, dass die Anfänge nicht vor das Jahr 1076 zu da-
tieren sind. Grund zu dieser Annahme gibt ihm wohl eine Urkunde, die eventuell auf das Jahr 1076
zu datieren ist und in der ein gewisser Sicher de Lohens als Zeuge auftaucht; zur Datierung vgl. Ders.,
S. 50, Anm. 2.
1697 Zur besonderen Stellung Gerhards II. zur Kirchenreform vgl. P. Endmann, Gerhard II. von Cambrai,
S. 77-118; J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 60-61, der annimmt, dass die Reise des päpstlichen
Legaten nach Plandern (1078) hierfür prägend war; vgl. zudem die ältere Darstellung von N. N. Huyg-
hebaert, Un legat de Gregoire VII, S. 187-200; zur libertas der Klöster der Diözese Cambrai Ch. Der-
eine, La »libertas« des nouveaux monasteres.
1698 Die Vogteirechte wurden dennoch de facto von Anselm von Ribemont und später von den Kastellanen
von Douai ausgeübt; vgl. dazu J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 61, 260.
1699 Dies wird auch dadurch deutlich, dass er dem Kloster die beiden besagten Dörfer schenkte.
1700 Vgl. dazu J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 59; zu diesem Phänomen E Mazel, Monachisme et
aristocratie, S. 53-59.
 
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