Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0494
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
490 | IV. Die Abtei von Anchin

Vorwurf der Simonie konfrontiert sah, wurde auf dem Konzil von Reims ein neuer
Abt für Saint-Medard bestimmt. Die Wahl fiel auf Gottfried von Coucerf, den ehe-
maligen Prior von Saint-Nicaise und Abt von Saint-Thierry in Reims.1971 Gottfried
war ein enger Freund Abt Alvisus’ von Anchin, wovon der bereits erwähnte Brief
Bernhards von Clairvaux zeugt.1972
Über die correctio von Saint-Medard berichtet der gut zwanzig Jahre später
schreibende Hermann von Tournai, dass König Ludwig VI. die Gewohnheiten von
Cluny in Saint-Medard mit Gewalt einführte.1973 Auch ein Brief des Petrus Vene-
rabilis bringt Gottfried, der inzwischen Bischof von Chälons-sur-Marne gewor-
den war, in Verbindung mit dem ordo cluniacensisV7^ Dass sich die Lebensweise
und vor allem die Liturgie der Gemeinschaft von Saint-Medard verändert haben
muss, deutet Guibert von Nogent an. So kritisiert er in seinem um 1119/20 ent-
standenen Werk De pignoribus sanctorum, dass bestimmte Mönche (gemeint sind
die von Saint-Medard) der Meinung seien, ihre Lebensweise und ihre Gebete seien
frömmer als die der anderen.1975 Guiberts Werk beleuchtet aber auch einen wei-
teren Aspekt der correctio von Saint-Medard, nämlich die Förderung des lokalen
Heiligenkultes. Neben dem althergebrachten Kult des heiligen Sebastian sollte nun
auch Gregor der Große und der angebliche Milchzahn Christi, in dessen Besitz
zu sein die Mönche behaupteten, einen Kult erhalten.1976 Die dazu notwendigen
Mirakel wurden in einer großen Sammlung weithin verbreitet. Eines der ältesten
Exemplare aus dem 12. Jahrhundert ist in Anchin überliefert und zeugt damit vom
engen Kontakt beider Gemeinschaften.1977 Auch aus der Vita Gosuini prima lässt
sich der Versuch belegen, in Saint-Medard einen Gregorius-Kult zu etablieren: Sie
berichtet, wie Gossuin in diesem Kloster schwer erkrankte und durch ein Wunder
Gregors des Großen wieder genas.1978 Welche große Symbolik beispielsweise die
1971 J. Pycke, Artikel »Geoffroy de Chalons-sur-Marne«, Sp. 538-540.
1972 Siehe dazu oben S. 465-469.
1973 Hermann, Liber, c. 80, S. 135: »[...] deinde Ludovicus rex Francorum, videns alias ecclesias per easdem
consuetudines proficere, in cenobio Sancti Medardi Suessionensis eas violenter servari fecit, sicque per
gratiam Dei vix iam invenitur in Francia vel Flandria aliquod cenobium, in quo non videns Cluniacen-
ses consuetudines servari.«
1974 G. Constable (Hg.), The Letters of Peter the Venerable, Bd. 1, ep. 79, S. 213:»[...] vos Cluniacensis
immo divini ordinis per totam Franciam primum disseminatorem auctorem, provectorem.«
1975 Guibert von Nogent, De pigneribus sanctorum, I, S. 85: »Sunt etenim quaedam quae tenentur sed non
docentur, sicut sunt consuetudines aut ieiunandi aut psallendi, quae etsi diversa sunt actu, nusquam
tarnen discrepant a fidei sensu, nec aliter faciens argui potest qui a dissimiliter abstinente aut canente
per intelligentiam nullatenus abest: alioquin qui in simili fide diversitatem frugalitatum officiorumque
defenderet, ex sui singularitate privilegii scismaticus, et merito, dici posse.«
1976 VgL dazu Guibert von Nogent, De pigneribus sanctorum, III, S. 153; zudem K. Fuchs, Zeichen und
Wunder, S. 206-226.
1977 Der Text dieses Wunderbuchs aus Anchin ist ediert bei Karin Fuchs, Zeichen und Wunder, S. 255 -269.
1978 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 20, S. 87-93.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften