492 | IV. Die Abtei von Anchin
Saint-Remi und stellt unmissverständlich klar, dass Abt Odo einige Mönche aus
Saint-Bertin und nicht aus Anchin zur correctio erhalten habe.1984
Der Verfasser der Vita Gosuini prima schildert die desolate Lage der drei Klöster
auf ganz ähnliche Weise. Gerzaguet spricht daher von einer Situation »decrite par
des topoi«™5 Sicherlich richtig ist es, dass der Verfasser der Vita auf ein klassisches
Modell zurückgreift, wonach die Klöster sowohl im Innern als auch im Äußern dar-
niederlagen. Gleich zu Beginn liefert er hierfür aber auch eine Erklärung, die sich
in ähnlicher Weise auch bei anderen monastischen Autoren findet: So haben sich
nämlich die Unordnung und Missstände im Innern der Gemeinschaft negativ auf
ihren weltlichen Besitz ausgewirkt. Wenn der Text im Fall von Saint-Crepin davon
spricht, dass der Abt ein sparsameres Leben forderte, weitere Verschwendung von
Besitz unterbinden und den Überfluss beseitigen wollte, wird damit doch deutlich,
dass ein sehr weltliches Leben Einzug in die Gemeinschaft gehalten hatte. Auch im
Falle Saint-Remis lässt die Vita dies deutlich erkennen, wenn sich der Verfasser der
Vorbilder Marthas und Mariens bedient, und damit verdeutlicht, dass das aktive
und wohl sehr geschäftige und weltzugewandte Leben der Mönche nach Gossuins
Tätigkeit in ein kontemplatives Leben umgewandelt wurde. Der in allen drei Fällen
beklagte desolate Zustand der temporalia lässt sich aber sicherlich nicht auf einer
rein materiellen Ebene auf den verschwenderischen und eigennützigen Lebenswan-
del der Brüder zurückführen. Der Grund für die schlechte wirtschaftliche Situation
der Gemeinschaften liegt weit tiefer. So hatte das verweltlichte Leben der Mönche
vor allem zur Folge, dass ihre Unterstützung durch die Außenwelt nach und nach
schwand. Im Falle Saint-Medards wird dies offensichtlich. Der Verfasser der Vita
weist nämlich deutlich darauf hin, dass die Abtei einst nobilis und famosa war, nun
aber einen üblen Ruf hatte und dass der neue Abt dies als eine große Schmach
empfand.1986 Die Beispiele Saint-Martins in Tournai und Marchiennes zeigen die
direkten Folgen: weniger Schenkungen an die Gemeinschaft und Entfremdung von
Klostergut.1987 Nur durch ein vorbildliches und frommes Leben konnte eine Ge-
meinschaft ihr Existenzrecht geltend machen, ihren Besitz legitimieren und auf die
Hilfe der Großen und des Bischofs hoffen.1988 Diesen Zusammenhang zwischen
dem Leben der Mönche und dem Zustand ihres weltlichen Besitzes drückt der Ver-
1984 Hermann, Liber, c. 80, S. 135: »Domnus quoque Odo venerabilis abbas Sancti Remigii Remensis su-
sceptos a prefato abbate Sancti Bertini monachos in cenobio suo posuit [...].«
1985 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 194.
1986 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 17, S. 70.
1987 Im Falle Saint-Martins beklagt Hermann indirekt den Rückgang der Stiftungen; siehe dazu oben
Anm. 1468; in Marchiennes führt das zum Erliegen gekommene Mönchsleben zur Entfremdung eines
Großteils des Besitzes, siehe dazu oben S. 230-237.
1988 Dass auch das Umfeld eines Klosters Anteil an dessen Identität hatte zeigt C. Zwanzig, Gründungs-
mythen.
Saint-Remi und stellt unmissverständlich klar, dass Abt Odo einige Mönche aus
Saint-Bertin und nicht aus Anchin zur correctio erhalten habe.1984
Der Verfasser der Vita Gosuini prima schildert die desolate Lage der drei Klöster
auf ganz ähnliche Weise. Gerzaguet spricht daher von einer Situation »decrite par
des topoi«™5 Sicherlich richtig ist es, dass der Verfasser der Vita auf ein klassisches
Modell zurückgreift, wonach die Klöster sowohl im Innern als auch im Äußern dar-
niederlagen. Gleich zu Beginn liefert er hierfür aber auch eine Erklärung, die sich
in ähnlicher Weise auch bei anderen monastischen Autoren findet: So haben sich
nämlich die Unordnung und Missstände im Innern der Gemeinschaft negativ auf
ihren weltlichen Besitz ausgewirkt. Wenn der Text im Fall von Saint-Crepin davon
spricht, dass der Abt ein sparsameres Leben forderte, weitere Verschwendung von
Besitz unterbinden und den Überfluss beseitigen wollte, wird damit doch deutlich,
dass ein sehr weltliches Leben Einzug in die Gemeinschaft gehalten hatte. Auch im
Falle Saint-Remis lässt die Vita dies deutlich erkennen, wenn sich der Verfasser der
Vorbilder Marthas und Mariens bedient, und damit verdeutlicht, dass das aktive
und wohl sehr geschäftige und weltzugewandte Leben der Mönche nach Gossuins
Tätigkeit in ein kontemplatives Leben umgewandelt wurde. Der in allen drei Fällen
beklagte desolate Zustand der temporalia lässt sich aber sicherlich nicht auf einer
rein materiellen Ebene auf den verschwenderischen und eigennützigen Lebenswan-
del der Brüder zurückführen. Der Grund für die schlechte wirtschaftliche Situation
der Gemeinschaften liegt weit tiefer. So hatte das verweltlichte Leben der Mönche
vor allem zur Folge, dass ihre Unterstützung durch die Außenwelt nach und nach
schwand. Im Falle Saint-Medards wird dies offensichtlich. Der Verfasser der Vita
weist nämlich deutlich darauf hin, dass die Abtei einst nobilis und famosa war, nun
aber einen üblen Ruf hatte und dass der neue Abt dies als eine große Schmach
empfand.1986 Die Beispiele Saint-Martins in Tournai und Marchiennes zeigen die
direkten Folgen: weniger Schenkungen an die Gemeinschaft und Entfremdung von
Klostergut.1987 Nur durch ein vorbildliches und frommes Leben konnte eine Ge-
meinschaft ihr Existenzrecht geltend machen, ihren Besitz legitimieren und auf die
Hilfe der Großen und des Bischofs hoffen.1988 Diesen Zusammenhang zwischen
dem Leben der Mönche und dem Zustand ihres weltlichen Besitzes drückt der Ver-
1984 Hermann, Liber, c. 80, S. 135: »Domnus quoque Odo venerabilis abbas Sancti Remigii Remensis su-
sceptos a prefato abbate Sancti Bertini monachos in cenobio suo posuit [...].«
1985 J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 194.
1986 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 17, S. 70.
1987 Im Falle Saint-Martins beklagt Hermann indirekt den Rückgang der Stiftungen; siehe dazu oben
Anm. 1468; in Marchiennes führt das zum Erliegen gekommene Mönchsleben zur Entfremdung eines
Großteils des Besitzes, siehe dazu oben S. 230-237.
1988 Dass auch das Umfeld eines Klosters Anteil an dessen Identität hatte zeigt C. Zwanzig, Gründungs-
mythen.