7. Die Vita Gosuini prima | 495
diesen Mönch aus Anchin fiel, macht deutlich, dass hier wohl ganz andere Krite-
rien, als die ältere Forschung angenommen hatte, von Bedeutung waren. Bereits das
Attribut idoneus veranschaulicht, dass in der Vorstellung des Verfassers der Vita
prima die persönliche Eignung des Helfers von größter Bedeutung war. Gottfried
konnte sich von der Heiligkeit und dem Eifer Gossuins durch die räumliche Nähe
zu Saint-Crepin persönlich überzeugen. Während die Vita prima im Falle Saint-
Crepins Wert darauf legt, den exzellenten Ruf Anchins als einen der Gründe für
die Wahl Gossuins zu nennen, sind im Falle Saint-Medards seine Person und seine
persönliche Leistung die Hauptkriterien. Gossuins außerordentliche Eignung und
sein besonderes Talent bei der correctio von Klöstern, aber auch bei der Leitung
der Abtei von Anchin, werden in der Vita prima und der Vita secunda stets her-
vorgehoben.
7.2. Gossuin, ein Meister der correctio und Lehrer des Mönchtums
In ihren Berichten über die correctio der drei genannten Klöster bietet die Vita
prima wichtige Einblicke in die Vorstellung der Methoden und Praktiken die für
den Erfolg einer correctio notwendig waren. Der Text betont gleich zu Beginn, dass
die correctio keine leichte Aufgabe darstellte. Es bedurfte nämlich einer Person, die
wusste, »wie man die ungebildeten Mönche belehrt, die Unbeugsamen beugt, die
Stolzen zügelt, die Trotzigen bezwingt, die Harten erweicht und die Gleichgülti-
gen besiegt«.2000 Gossuin sei für diese Aufgabe mehr als geeignet gewesen. Mit ein
Grund hierfür war, wie der Text bemerkt, dass sich der Mönch aus Anchin zuvor
mit dem Kommentar Gregors des Großen zum Buch Ezechiel intensiv beschäftigt
hatte. Dessen Lektüre habe bewirkt, dass er sowohl von Schlaffheit als auch von
Härte befreit wurde. Wie eine Biene habe er die Süße der Frömmigkeit (devotio},
Einfachheit (simplicitas) und Klugheit (prudentia) in sich aufgesogen.2001 Nach der
Vita prima war also die Lektüre dieses Buchs und die Verinnerlichung der drei ge-
nannten Grundhaltungen ausschlaggebend für den Erfolg seines Tuns. Wie sich dies
sodann in der Praxis auswirkte, betont die Vita prima in besonderem Maße. Als
ersten Schritt galt es, das Vertrauen der Mönche zu gewinnen. In Saint-Crepin habe
2000 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 16, S. 67: »[...] doctos et industrios viros colligentes ex monasteriis
Ordinatis, qui & indoctos scirent erudire, & rigidos curvarent, frangerent superbos, & contumaces
debellarent, emollirent duros, & revincerent contemptores.«
2001 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 16, S. 68: »[...] qui proficiscens fervore laudabili, Gregorium su-
per Ezechielem itineris sui comitem fecit, pro eo, quod per ipsius lectionem, quasi a porta inferi fuerat
revocatus; suscitatus a tepore, ab acedia liberales; ex quo deinceps sugebat instar apiculae dulcedinem
devotionis, columbinam simplicitatem, & prudentiam serpentinam.«
diesen Mönch aus Anchin fiel, macht deutlich, dass hier wohl ganz andere Krite-
rien, als die ältere Forschung angenommen hatte, von Bedeutung waren. Bereits das
Attribut idoneus veranschaulicht, dass in der Vorstellung des Verfassers der Vita
prima die persönliche Eignung des Helfers von größter Bedeutung war. Gottfried
konnte sich von der Heiligkeit und dem Eifer Gossuins durch die räumliche Nähe
zu Saint-Crepin persönlich überzeugen. Während die Vita prima im Falle Saint-
Crepins Wert darauf legt, den exzellenten Ruf Anchins als einen der Gründe für
die Wahl Gossuins zu nennen, sind im Falle Saint-Medards seine Person und seine
persönliche Leistung die Hauptkriterien. Gossuins außerordentliche Eignung und
sein besonderes Talent bei der correctio von Klöstern, aber auch bei der Leitung
der Abtei von Anchin, werden in der Vita prima und der Vita secunda stets her-
vorgehoben.
7.2. Gossuin, ein Meister der correctio und Lehrer des Mönchtums
In ihren Berichten über die correctio der drei genannten Klöster bietet die Vita
prima wichtige Einblicke in die Vorstellung der Methoden und Praktiken die für
den Erfolg einer correctio notwendig waren. Der Text betont gleich zu Beginn, dass
die correctio keine leichte Aufgabe darstellte. Es bedurfte nämlich einer Person, die
wusste, »wie man die ungebildeten Mönche belehrt, die Unbeugsamen beugt, die
Stolzen zügelt, die Trotzigen bezwingt, die Harten erweicht und die Gleichgülti-
gen besiegt«.2000 Gossuin sei für diese Aufgabe mehr als geeignet gewesen. Mit ein
Grund hierfür war, wie der Text bemerkt, dass sich der Mönch aus Anchin zuvor
mit dem Kommentar Gregors des Großen zum Buch Ezechiel intensiv beschäftigt
hatte. Dessen Lektüre habe bewirkt, dass er sowohl von Schlaffheit als auch von
Härte befreit wurde. Wie eine Biene habe er die Süße der Frömmigkeit (devotio},
Einfachheit (simplicitas) und Klugheit (prudentia) in sich aufgesogen.2001 Nach der
Vita prima war also die Lektüre dieses Buchs und die Verinnerlichung der drei ge-
nannten Grundhaltungen ausschlaggebend für den Erfolg seines Tuns. Wie sich dies
sodann in der Praxis auswirkte, betont die Vita prima in besonderem Maße. Als
ersten Schritt galt es, das Vertrauen der Mönche zu gewinnen. In Saint-Crepin habe
2000 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 16, S. 67: »[...] doctos et industrios viros colligentes ex monasteriis
Ordinatis, qui & indoctos scirent erudire, & rigidos curvarent, frangerent superbos, & contumaces
debellarent, emollirent duros, & revincerent contemptores.«
2001 R. Gibbon, Vita Gosuini prima, I, c. 16, S. 68: »[...] qui proficiscens fervore laudabili, Gregorium su-
per Ezechielem itineris sui comitem fecit, pro eo, quod per ipsius lectionem, quasi a porta inferi fuerat
revocatus; suscitatus a tepore, ab acedia liberales; ex quo deinceps sugebat instar apiculae dulcedinem
devotionis, columbinam simplicitatem, & prudentiam serpentinam.«