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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0521
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8. Die correctio von Anchin: Folgerungen 517

statt auf die Initiative der Abtei von Anchin zurück auf die Initiative der betrof-
fenen Äbte zurück: Anchin betrieb somit keine aktive »Reformpolitik«, sondern
nahm eine eher passive Rolle ein.
Die Vita Gosuini prima zeichnet somit ein Bild, das deutlich zu erkennen gibt,
dass die Durchführung einer correctio von Situationen und Faktoren abhing, die ein
verfassungsgeschichtlicher Ansatz völlig ausblendet. Eine correctio, so wird deut-
lich, war stets ein Werk, an dem viele Mönche, aber auch das soziale Umfeld und
der Bischof großen Anteil hatten. Die Auswahl der Mönche verlief nach Kriterien,
die sich meist nicht genau erschließen lassen: Der gute Ruf des Herkunftsklosters,
die besondere Eignung des Mönchs sowie spezifische Situationen (z.B. der offen
sichtbare Erfolg bei der correctio von Saint-Crepin) wirkten sich auf diese Wahl aus.
Sie erscheint also für die Zeit vor 1130 alles andere als stringent und zielgerichtet
und kann daher nicht über das Modell der Filiation beschrieben werden. Nach 1130
sollte sich dies ändern.
Die Vita Gosuini prima überliefert eine Liste, welche die aus Anchin stammen-
den Äbte anderer Gemeinschaften aufführt und in der Forschung die Vorstellung
einer »Reformbewegung« von Anchin beförderte. Bei genauerer Analyse muss
dieses Bild jedoch deutlich modifiziert werden. Es steht zwar außer Frage, dass
Anchin ein Kloster war, das durch seinen ausgezeichneten Ruf weithin bekannt
war und aus diesem Grund auch zahlreiche Mönche hervorbrachte, die in anderen
Gemeinschaften in das Amt des Abtes aufstiegen. Nicht jeder dieser Äbte führ-
te in seiner Gemeinschaft allerdings eine correctio durch, so dass hier nach dem
»monarchischen Prinzip der Filiation« Hallingers auf eine zusammenhängende
»Reformbewegung« geschlossen werden darf. Außer Frage steht aber dennoch, dass
hauptsächlich ab den 1130er Jahren dieses Prinzip der Filiation im Zusammenhang
mit den Generalkapiteln ansatzweise zum Tragen kam: Die abbates comprovincia-
les und später vor allem Bischof Alvisus führten eine Kloster- und Personalpolitik,
die durchaus zielgerichtet war und auf Mönche aus Anchin zurückgriff. Die Vita
Gosuini prima zeigt, dass Anchin hierbei allerdings eine eher passive Rolle spielte:
Gossuins Widerstand, seine besten Mönche auf Wunsch des Bischofs zu Äbten an-
derer Gemeinschaften zu befördern, veranschaulicht dies mehr als deutlich. Anchin
war somit ab den 1130er Jahren eine Abtei, die aufgrund ihres guten Rufs großen
Einfluss auf die Klöster der Gegend ausübte. Diese Rolle verfolgte das Kloster nicht
immer aktiv und freiwillig, weshalb die Vorstellung von einer »Reformbewegung«
von Anchin wenig zielführend ist.
Ein Blick in jene Gemeinschaften, deren correctio maßgeblich von Mönchen aus
Anchin getragen wurde und die ab den 1130er Jahren dem Einfluss Anchins ausge-
setzt waren, zeigt, wie diese Klöster auf den Versuch einer Vereinheitlichung und
Kontrolle der klösterlichen Lebensweise, wie sie sich die Generalkapitel und später
 
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