II.2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft
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gehören dazu gemeinsame Mahlzeiten, Gebete, Memorialformen oder narrative Tra-
ditionen, die auf gleichsam performativem Wege aus einer Gruppe eine Gemein-
schaft formen.63 Überträgt man diesen Ansatz auf das Thema der Tiergemeinschaf-
ten, sind folglich nicht nur die Mitglieder einer Gemeinschaft zu beachten, sondern
auch die Eigenschaften, Regeln und Praktiken ihres gemeinschaftlichen Zusammen-
lebens und eventuelle Reflexionen ihres Miteinanders. Im Grunde hat so schon Aris-
toteles argumentiert, dem zufolge erst das gemeinsame Agieren eine Gemeinschaft
der „politischen Lebewesen“ konstruiert - eine Eigenschaft, die Menschen genauso
wie Bienen, Wespen, Ameisen und Kraniche auszeichnet.
Eine weitere methodische Frage ist aufzuwerfen, nämlich die Frage nach der
grundsätzlichen Sinnhaftigkeit, soziale Zusammenhänge der Menschen mithilfe von
Tierbeispielen erläutern zu wollen: Erfüllen die Beispiele der Ameisen, Bienen, Wes-
pen usw. überhaupt eine Funktion, die über eine reine Illustrierung hinausgeht? Lässt
sich mithilfe von Tierbeispielen Gemeinschaftskonzepten eine neue oder gar zusätz-
liche Deutungsebene verleihen? Derartige Fragen sind notwendig, um vormoderne
Darstellungen tierischer Gemeinschaften nicht einfach als eine „neutrale“ oder kon-
textunabhängige Beschreibung von Naturphänomenen durch die jeweiligen Beob-
achter abzutun. In der Regel verraten „Gestaltungs- und Thematisierungsweisen“
von Tieren nämlich „weniger etwas über [deren] biologische Eigenschaften ... als
vielmehr etwas über [die] Beobachtungs- und Imaginationsverfahren des Men-
schen.“64 Folglich sagen auch „Modellierungen des [tierischen] Gemeinschaftswe-
sens“ „v. a. etwas über den Menschen und dessen Sozialbeziehungen aus“ und lassen
sich vielleicht sogar als „Selbstbeschreibungen der jeweiligen Beobachtungskultur
lesen“. Die Anziehungskraft von Bienen- oder Ameisengemeinschaften gründet in
dieser Lesart also vornehmlich darauf, „komplexe (menschliche) Probleme der Koor-
dination und Steuerung in sozialen Regelkreisen ... exemplifizieren [und modellie-
ren]“ zu können.65
Die Entwicklung eines Bildes von Tiergemeinschaften und seine Verbindung mit
der sozialen Umwelt des Menschen bedingen sich also stets gegenseitig: Aus der Na-
tur wird gerade nicht ein vermeintlich „neutrales“ Bild entwickelt und dann auf den
menschlichen Kontext übertragen, sondern die aktuelle soziale Perspektive prägt den
Blick auf die Tiere ganz wesentlich mit. Mithin wird eine bestimmte politische Vor-
stellung nicht einfach in naturkundlichen Phänomenen erkannt, sondern auch auf
63 S. hierzu (mit Darstellung einschlägiger theoretischer Diskussionen) Lutter, Social Groups,
S. 45-49 sowie Lutter, Vita communis und Lutter, Geteilte Soziale Räume.
64 Klausnitzer, Von Bienen fabeln, S. 159. Vgl. hierzu auch Peil, Bienenstaat, S. 181f., der auf die
wertneutrale soziomorphe Interpretation einer Tiergesellschaft / eines Naturphänomens mittels
Metaphern oder Vergleichen verweist. Dabei würden nicht unbedingt naturkundliche Beobachtun-
gen zugrunde gelegt, vielmehr richte sich die Naturbeschreibung nach dem eigenen Kontext des
Betrachters.
65 Zitate aus Klausnitzer, Von Bienen fabeln, S. 159 und 160.
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gehören dazu gemeinsame Mahlzeiten, Gebete, Memorialformen oder narrative Tra-
ditionen, die auf gleichsam performativem Wege aus einer Gruppe eine Gemein-
schaft formen.63 Überträgt man diesen Ansatz auf das Thema der Tiergemeinschaf-
ten, sind folglich nicht nur die Mitglieder einer Gemeinschaft zu beachten, sondern
auch die Eigenschaften, Regeln und Praktiken ihres gemeinschaftlichen Zusammen-
lebens und eventuelle Reflexionen ihres Miteinanders. Im Grunde hat so schon Aris-
toteles argumentiert, dem zufolge erst das gemeinsame Agieren eine Gemeinschaft
der „politischen Lebewesen“ konstruiert - eine Eigenschaft, die Menschen genauso
wie Bienen, Wespen, Ameisen und Kraniche auszeichnet.
Eine weitere methodische Frage ist aufzuwerfen, nämlich die Frage nach der
grundsätzlichen Sinnhaftigkeit, soziale Zusammenhänge der Menschen mithilfe von
Tierbeispielen erläutern zu wollen: Erfüllen die Beispiele der Ameisen, Bienen, Wes-
pen usw. überhaupt eine Funktion, die über eine reine Illustrierung hinausgeht? Lässt
sich mithilfe von Tierbeispielen Gemeinschaftskonzepten eine neue oder gar zusätz-
liche Deutungsebene verleihen? Derartige Fragen sind notwendig, um vormoderne
Darstellungen tierischer Gemeinschaften nicht einfach als eine „neutrale“ oder kon-
textunabhängige Beschreibung von Naturphänomenen durch die jeweiligen Beob-
achter abzutun. In der Regel verraten „Gestaltungs- und Thematisierungsweisen“
von Tieren nämlich „weniger etwas über [deren] biologische Eigenschaften ... als
vielmehr etwas über [die] Beobachtungs- und Imaginationsverfahren des Men-
schen.“64 Folglich sagen auch „Modellierungen des [tierischen] Gemeinschaftswe-
sens“ „v. a. etwas über den Menschen und dessen Sozialbeziehungen aus“ und lassen
sich vielleicht sogar als „Selbstbeschreibungen der jeweiligen Beobachtungskultur
lesen“. Die Anziehungskraft von Bienen- oder Ameisengemeinschaften gründet in
dieser Lesart also vornehmlich darauf, „komplexe (menschliche) Probleme der Koor-
dination und Steuerung in sozialen Regelkreisen ... exemplifizieren [und modellie-
ren]“ zu können.65
Die Entwicklung eines Bildes von Tiergemeinschaften und seine Verbindung mit
der sozialen Umwelt des Menschen bedingen sich also stets gegenseitig: Aus der Na-
tur wird gerade nicht ein vermeintlich „neutrales“ Bild entwickelt und dann auf den
menschlichen Kontext übertragen, sondern die aktuelle soziale Perspektive prägt den
Blick auf die Tiere ganz wesentlich mit. Mithin wird eine bestimmte politische Vor-
stellung nicht einfach in naturkundlichen Phänomenen erkannt, sondern auch auf
63 S. hierzu (mit Darstellung einschlägiger theoretischer Diskussionen) Lutter, Social Groups,
S. 45-49 sowie Lutter, Vita communis und Lutter, Geteilte Soziale Räume.
64 Klausnitzer, Von Bienen fabeln, S. 159. Vgl. hierzu auch Peil, Bienenstaat, S. 181f., der auf die
wertneutrale soziomorphe Interpretation einer Tiergesellschaft / eines Naturphänomens mittels
Metaphern oder Vergleichen verweist. Dabei würden nicht unbedingt naturkundliche Beobachtun-
gen zugrunde gelegt, vielmehr richte sich die Naturbeschreibung nach dem eigenen Kontext des
Betrachters.
65 Zitate aus Klausnitzer, Von Bienen fabeln, S. 159 und 160.