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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0052
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II.2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft

51

worden.50 Die gemeinscliaftsbildende Funktion exemplarischen Erzählens lässt sich
somit sinnvoll als narrative Praktik gemeinsam mit jenen sozialen Praktiken denken,
denen eine signifikante Bedeutung für die Formierung sozialer Gemeinschaften zu-
zuschreiben ist, wie Christina Lutter jüngst gezeigt hat.51
Das Schrifttum des 13. Jahrhunderts wies eine beachtliche Quantität und Vielfalt
exemplarischen Erzählens auf. Die Funktionalität der einzelnen Geschichte, aber
eben auch ihre Bedeutung in der überliefernden Textsammlung lassen sich unter
Berücksichtigung verschiedener Bedeutungsebenen erschließen. Dies zeigt sich
schon bei der Ausgestaltung des „durchschnittlichen Exempel-Formats“, welche von
der Nennung berühmter zu anonymen Bezugspersonen oder von vornehmlich le-
bensweltlichen zu theologischen Bezügen variieren und verschiedene moralische
Anknüpfungsmöglichkeiten zur Erbauung bis hin zur Erheiterung einschließen
konnte. Den meisten exemplarischen Erzählungen gemeinsam war indes der Fokus
auf Ereignisse und Normvorstellungen, die in der Vergangenheit wurzelten, aber
zeitunabhängig Geltung beanspruchen konnten. Daraus ließen sich Leitideen oder
Handlungsvorbilder extrahieren, die auch in der Gegenwart und schließlich in der
Zukunft gelten sollten.52
Erneut ist zu betonen, dass Ausschmückung und Abstraktionsgrad der jeweiligen
Episode ganz wesentlich von der Nutzungsabsicht und mithin der Konzeption der
übergeordneten Textsammlung durch den jeweiligen Autor oder Kompilator abhin-
gen. Dieser suchte durch die Sammlung und Zusammenfügung passender Geschich-
ten seine Sicht auf die Welt zu präsentieren - in der „kleinen“, regionalen und alltags-
bezogenen Perspektive eines Thomas von Cantimpre oder Jakob von Vitry ebenso
wie im Hinblick auf das „große Ganze“ der Schöpfung wie bei Stephan von Bourbon
oder Vincent von Beauvais. Dabei handelte es sich nicht um ein einseitiges, sondern
ein reziprokes Verhältnis: Indem sich der Autor oder Kompilator mittels des exemp-
larischen Erzählens um eine Ordnung der menschlichen Welt bemühte, lernte er die-
se zugleich begreifen und begreiflich zu machen. Damit wurde die Welt gleichsam in
Geschichten erfasst.

IL2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft
1881 erschien posthum der vierte Roman des französischen Schriftstellers Gustave
Flaubert (1821-1880) unter dem Titel „Bouvard und Pecuchet“. Im Mittelpunkt des
Buches stehen die beiden Pariser Büroangestellten Bouvard und Pecuchet, die sich
50 Zur „Erzähl-Gemeinschaft“ s. Wesjohann, Mendikantische Gründungserzählungen, S. 313-319,
sowie Winkler, Building the imagined community.
51 S. Lutter, Social Groups sowie Lutter, Vita communis.
52 Vgl. dazu Schürer, Die Dominikaner, S. 213f.
 
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