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II. Das Werk
Materials werde, so Vincent, Geschichte verfügbar gemacht und erscheine somit
gleichsam selbst als Exempel.46
Vor diesem Hintergrund ließen sich auch Wundergeschichten, Legenden, Heili-
genviten und Exempel sinnhaft in die geschichtliche Darstellung einbinden. Die iden-
titätsstiftende Funktion solcher Textpartien lässt sich nicht nur am Inhalt, sondern
auch an ihrer Verarbeitung erkennen. So ist im Falle des Speculum historiale be-
kannt, dass Vincent die eigene Kompilation um 1250 überarbeitete, bestimmte
Passagen hinzufügte und andere neu anordnete. In besonderer Weise betraf dies die
Abschnitte zu Franziskus und Dominikus, die in einer früheren Fassung in vergleich-
barem Umfang behandelt worden waren. In der überarbeiteten Fassung nehmen die
Abschnitte über Dominikus nicht nur deutlich mehr Raum ein (Erweiterung von 11
auf 29 Kapitel), sondern unterbrechen vormals geschlossene Textab schnitte über
Franziskus und rahmen diese gewissermaßen ein.47
Dies zeigt beispielsweise auch die Aufnahme einer Dominikus-Geschichte, die
schon in der Legenden-Kompilation des Metzer Dominikaners Jean de Mailly (Mitte
13. Jh.) überliefert ist. Bei einer öffentlichen Streitbegegnung mit Häretikern in Süd-
frankreich werden eine Schrift des heiligen Dominikus und eine Schrift eines Häre-
tikers laut verlesen. Die Richter des Streites verfügen, dass beide Traktate verbrannt
und so hinsichtlich ihres Inhaltes getestet werden sollen. Während der Traktat des
Häretikers auf Anhieb verbrennt, bleibt die Schrift des Dominikus auch nach dreima-
ligem Versuch vom Feuer unversehrt und erweist sich somit als Ausweis seines auf-
rechten Glaubens.48 Zusammen mit der Quantität der von Vincent kompilierten Do-
minikus-Geschichten und ihrer Anordnung im Werk trägt auch deren programmatische
Qualität im Speculum historiale zu einer (wenngleich impliziten) Stärkung und Her-
vorhebung der Dominikaner gegenüber den Franziskanern bei - eine Strategie, die
sich in zahlreichen dominikanischen Werken vor allem „der zweiten Ordensgenera-
tion“ finden lässt.49
In der einschlägigen Forschung ist dies als Beitrag zu einer dominikanischen „Er-
zähl-Gemeinschaft“ oder einer „imagined community“ der Dominikaner gewertet
46 Vgl. dazu von den Brincken, Geschichtsbetrachtung bei Vincenz von Beauvais (ab S. 465 mit Edi-
tion der apologia, dort besonders cap. 4, 8 und 18).
47 Eine genaue Übersicht hierzu findet sich bei Zahora, Fashioning Saint Francis, S. 171-172.
48 Jean de Mailly, Abrege des Gestes, hg. Dondaine, S. 306. Für eine englische Übersetzung der
Dominikus-Episode bei Jean de Mailly s. Early Dominicans, hg. Tugwell, S. 53-60, hier S. 54.
S. außerdem Wesjohann, Mendikantische Gründungserzählungen, S. 405, Boureau, Vincent de
Beauvais sowie Zonenberg, Function of History.
49 S. dazu Schürer, Das Exemplum sowie mit Bezug auf das Bonum universale de apibus auch
Schürer, Die Dominikaner, S. 188: „Insgesamt beschreibt das Bonum universale de apibus auf
diese Weise eine Vielzahl bestimmter Verhaltensmodelle, welche im Ganzen ein spezifisches
Handlungswissen ergeben, das dem Rezipienten detailiert [sic!] Normen für den Lebensvollzug
innerhalb religiöser Gemeinschaften überhaupt wie auch solche, die insbesondere im Bereich des
dominikanischen Ordenslebens Geltung beanspruchen, vermittelt.“
II. Das Werk
Materials werde, so Vincent, Geschichte verfügbar gemacht und erscheine somit
gleichsam selbst als Exempel.46
Vor diesem Hintergrund ließen sich auch Wundergeschichten, Legenden, Heili-
genviten und Exempel sinnhaft in die geschichtliche Darstellung einbinden. Die iden-
titätsstiftende Funktion solcher Textpartien lässt sich nicht nur am Inhalt, sondern
auch an ihrer Verarbeitung erkennen. So ist im Falle des Speculum historiale be-
kannt, dass Vincent die eigene Kompilation um 1250 überarbeitete, bestimmte
Passagen hinzufügte und andere neu anordnete. In besonderer Weise betraf dies die
Abschnitte zu Franziskus und Dominikus, die in einer früheren Fassung in vergleich-
barem Umfang behandelt worden waren. In der überarbeiteten Fassung nehmen die
Abschnitte über Dominikus nicht nur deutlich mehr Raum ein (Erweiterung von 11
auf 29 Kapitel), sondern unterbrechen vormals geschlossene Textab schnitte über
Franziskus und rahmen diese gewissermaßen ein.47
Dies zeigt beispielsweise auch die Aufnahme einer Dominikus-Geschichte, die
schon in der Legenden-Kompilation des Metzer Dominikaners Jean de Mailly (Mitte
13. Jh.) überliefert ist. Bei einer öffentlichen Streitbegegnung mit Häretikern in Süd-
frankreich werden eine Schrift des heiligen Dominikus und eine Schrift eines Häre-
tikers laut verlesen. Die Richter des Streites verfügen, dass beide Traktate verbrannt
und so hinsichtlich ihres Inhaltes getestet werden sollen. Während der Traktat des
Häretikers auf Anhieb verbrennt, bleibt die Schrift des Dominikus auch nach dreima-
ligem Versuch vom Feuer unversehrt und erweist sich somit als Ausweis seines auf-
rechten Glaubens.48 Zusammen mit der Quantität der von Vincent kompilierten Do-
minikus-Geschichten und ihrer Anordnung im Werk trägt auch deren programmatische
Qualität im Speculum historiale zu einer (wenngleich impliziten) Stärkung und Her-
vorhebung der Dominikaner gegenüber den Franziskanern bei - eine Strategie, die
sich in zahlreichen dominikanischen Werken vor allem „der zweiten Ordensgenera-
tion“ finden lässt.49
In der einschlägigen Forschung ist dies als Beitrag zu einer dominikanischen „Er-
zähl-Gemeinschaft“ oder einer „imagined community“ der Dominikaner gewertet
46 Vgl. dazu von den Brincken, Geschichtsbetrachtung bei Vincenz von Beauvais (ab S. 465 mit Edi-
tion der apologia, dort besonders cap. 4, 8 und 18).
47 Eine genaue Übersicht hierzu findet sich bei Zahora, Fashioning Saint Francis, S. 171-172.
48 Jean de Mailly, Abrege des Gestes, hg. Dondaine, S. 306. Für eine englische Übersetzung der
Dominikus-Episode bei Jean de Mailly s. Early Dominicans, hg. Tugwell, S. 53-60, hier S. 54.
S. außerdem Wesjohann, Mendikantische Gründungserzählungen, S. 405, Boureau, Vincent de
Beauvais sowie Zonenberg, Function of History.
49 S. dazu Schürer, Das Exemplum sowie mit Bezug auf das Bonum universale de apibus auch
Schürer, Die Dominikaner, S. 188: „Insgesamt beschreibt das Bonum universale de apibus auf
diese Weise eine Vielzahl bestimmter Verhaltensmodelle, welche im Ganzen ein spezifisches
Handlungswissen ergeben, das dem Rezipienten detailiert [sic!] Normen für den Lebensvollzug
innerhalb religiöser Gemeinschaften überhaupt wie auch solche, die insbesondere im Bereich des
dominikanischen Ordenslebens Geltung beanspruchen, vermittelt.“