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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0050
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II.1. Narrativer Funktionskontext: Exemplarisches Erzählen im 13. Jahrhundert

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nach Autorschaft oder Originalität scheint dabei jedoch weniger entscheidend als die
der Einbettung in das jeweilige Gesamtwerk. Im Bonum universale de apibus findet
sich der übergeordnete Abschnitt in einer Reihe von Kapiteln, in denen die Charak-
teristika frommer Bienen (die natürlich stellvertretend für die frommen Gläubigen
stehen) wie etwa ein gemeinschaftlicher Zusammenhalt, gemeinsame Beratungen
und Konsensfindung, Friedensorientierung und eben vorausschauende Maßhaltung
ausgelotet werden.42 Kapitel BUA 11,43, das sich dem letztgenannten Aspekt widmet,
enthält verschiedene Exempel, die die einleitende Forderung nach Achtsamkeit in
allen Zeiten verdeutlichen. Erzähltechnisch beachtenswert ist dabei, dass unter-
schiedliche Personengruppen, also neben dem imaginären König auch namentlich
genannte Mitglieder des Dominikanerordens oder Adelige aus dem Brabanter Raum,
mit einer unterschiedlichen Nähe des Autors zum Erzählten, also Selbsterfahrungen
ebenso wie Hörensagen, kombiniert werden. Mit dieser Variation wird nicht nur das
aufgezeigte Verhaltensmuster untermauert, sondern auch die Identifizierbarkeit des
Rezipienten mit dem Gehörten entscheidend erhöht.43 Eine grundlegende Ausdeu-
tung erfolgt jedoch nur im Anschluss an das zitierte Weisheitsexempel: Mit einem
Zitat aus der Apostelgeschichte (Act 1,7: „Es steht euch nicht zu, Zeiten oder Momen-
te zu kennen, die der Vater in seiner Macht aufgestellt hat“) führt Thomas die unter-
schiedlichen Wahrnehmungsfähigkeiten auf eine Zuweisung Gottes zurück, die es
erst erlaube, „die Fälle der Zukunft über vergangene und gegenwärtige Dinge zu
Tage zu fördern“.44
Die hier offenbarte Auseinandersetzung mit bzw. Beherrschung von Normen in
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die das exemplarische Erzählen leistet, wird
in der vierten These als Beitrag zu einer Identitäts- oder auch Gemeinschaftsbildung
angenommen. Erkennbar wird dieser Zusammenhang beispielsweise im Speculum
historiale Vincents von Beauvais, dem chronologisch organisierten und bis 1244 rei-
chenden Teil seines Speculum Malus, das als Enzyklopädie des Weltwissens angelegt
war.45 Wie Vincent in seinem Vorwort, der Apologia actoris, darlegte, dient der his-
torische Kontext vornehmlich als Rahmung: Nicht die Einzelberichte und Exempel
stehen in seinem Werk im Vordergrund, sondern vielmehr ihre Eignung als Vorbild
und Handlungsanweisung. Durch die korrekte Anordnung des weltgeschichtlichen
42 Vgl. dazu die weiteren Ausführungen in Abschnitt II.3.2, „Das Bienenvolk“.
43 S. dazu Schürer, Die Dominikaner, der allerdings auch in Bezug auf das Bonum universale de api-
bus von einer Dominanz der Handlung ungenannter / namenloser Menschen ausgeht, die „tenden-
ziell den Alltagsmenschen oder ... den durchschnittlichen Religiösen ... repräsentierten]“ (S. 182).
Für das „Bienenbuch“ ist diese Deutung jedoch nicht aufrechtzuhalten, weil die Variation der Per-
sonen so offensichtlich ist.
44 Thom. Cantimpr. BUA 11,43,1: ... ul homines sagaces igenio depreterritis velpresentibusfuturo-
rum causas eliciunt.
45 S. für einen Überblick aus der Fülle der Literatur Paulmier-Foucart, Historiographie sowie Voor-
bij, The Speculum Historiale.
 
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