II.2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft
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samt 37 Bücher umfassenden Werks setzte er sich mit den Insekten und besonders
intensiv mit den Bienen auseinander. Gepriesen werden diese vor allem, „weil sie
allein um der Menschen willen geschaffen worden sind: „Sie sammeln den Honig
[...], bilden Waben und Wachs [...], sind arbeitsam, vollenden ihre Werke, haben ei-
nen Staat, halten Beratungen in ihren Angelegenheiten, stehen aber scharenweise
unter Anführern und, was am meisten Bewunderung verdient, sie haben sogar Sitten,
da sie weder von zahmer noch von wilder Art sind.“73 Noch deutlicher als bei Vergil
fungiert die Attribuierung der Bienen mit menschlichen Charakterzügen hier als
Überhöhung oder Idealisierung der Tiergemeinschaft, nicht aber als Leitlinie: Ver-
traute politische Grundprinzipien wie z.B. das Abhalten von Beratungen oder das
Befolgen bestimmter Sitten werden auf das Tierbild projiziert, ohne jedoch daraus
Konsequenzen für die eigene Gegenwart abzuleiten.74
Kurze Zeit vor Plinius hatte Lucius Annaeus Seneca (gest. 65 n. Chr.) eine gänz-
lich andere Lesart präsentiert.75 In seiner um 55 n. Chr. entstandenen, an Kaiser Nero
(37-68 n. Chr.) gerichteten Denkschrift „Über die Milde“ {De clementia) stellte er
eine Verbindung zwischen Bienen und Menschen her und plädierte sogar explizit für
eine Orientierung an Bienengemeinschaften.76 „Schämen sollte man sich, von klei-
nen Tieren Sitten nicht zu übernehmen, weil der Menschen Seele desto mehr selbst-
beherrscht sein muß, je heftiger sie schadet.“77 Für seine zentrale Argumentation,
wonach sich ein menschlicher Herrscher vor allem durch Milde und Maßhaltung aus-
zuzeichnen habe, wusste Seneca das Bienenbeispiel geschickt zu nutzen: Die Konfi-
gurationen von Bienenkönig und Bienenvolk verstand er als gleichsam naturrechtli-
che Rechtfertigung von monarchischen Hierarchien bei den Menschen.78 Entsprechend
sah er nicht nur in der Vorrangstellung, der körperlichen Größe und der Bedeutung
des Bienenkönigs eine Analogie zu menschlichen Herrschern, sondern auch in dessen
73 Sed inter omnia ea principatus apibus et iure praecipua admiratio, solis ex eo genere hominum
causa genitis. mella contrahunt [.. ,],favos confingunt [...], laborem tolerant, opera conficiunt, rem
publicam habent, consilia privatim quoque, al duces gregatim et, quod maxime mirum sit, mores
haben! praeter cetera, cum sint neque mansueti generis neque feri. Plin. nat. XI, 5 (4). Überset-
zung zitiert nach C. Plinius Secundus, Naturkunde XI, hg. König/Hopp, S. 25. S. dazu auch Borst,
Buch der Naturgeschichte, S. 1-37 sowie Olbertz, Illum admirantur, S. 110.
74 Nicolaye, Sed inter omnia, S. 124f.
75 Zur Bedeutung Senecas im Mittelalter und der ihm (fälschlich) zugewiesenen Schriften s. Mayer,
Seneca Redivivus sowie Torre, Seneca.
76 S. zur Schrift und zu Senecas politischer Philosophie Shofield, Seneca on Monarchy.
77 Pudeat ab exiguis animalibus non trahere mores, cum tanto hominum moderatior esse animus
debeat, quanto vehementius nocet. Sen. clem. 1,19,4. Übersetzung nach L. Annaeus Seneca, De
clementia, hg. Rosenbach, S. 76-77.
78 Natura enim commenta est regem, quod et ex aliis animalibus licet cognoscere et ex apibus [...].
Sen. clem. 1,19,2. Übersetzung: L. Annaeus Seneca, De clementia, hg. Rosenbach, S. 74-75. Ein
vollkommen anderes Bienengleichnis findet sich bei Seneca in Brief 84 der Epistulae morales.
Darin vergleicht er die von ihm eingeforderte Balance aus Lesen und Schreiben mit der Herstellung
von Honig durch Bienen. S. dazu De Rentiis, Der Beitrag der Bienen.
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samt 37 Bücher umfassenden Werks setzte er sich mit den Insekten und besonders
intensiv mit den Bienen auseinander. Gepriesen werden diese vor allem, „weil sie
allein um der Menschen willen geschaffen worden sind: „Sie sammeln den Honig
[...], bilden Waben und Wachs [...], sind arbeitsam, vollenden ihre Werke, haben ei-
nen Staat, halten Beratungen in ihren Angelegenheiten, stehen aber scharenweise
unter Anführern und, was am meisten Bewunderung verdient, sie haben sogar Sitten,
da sie weder von zahmer noch von wilder Art sind.“73 Noch deutlicher als bei Vergil
fungiert die Attribuierung der Bienen mit menschlichen Charakterzügen hier als
Überhöhung oder Idealisierung der Tiergemeinschaft, nicht aber als Leitlinie: Ver-
traute politische Grundprinzipien wie z.B. das Abhalten von Beratungen oder das
Befolgen bestimmter Sitten werden auf das Tierbild projiziert, ohne jedoch daraus
Konsequenzen für die eigene Gegenwart abzuleiten.74
Kurze Zeit vor Plinius hatte Lucius Annaeus Seneca (gest. 65 n. Chr.) eine gänz-
lich andere Lesart präsentiert.75 In seiner um 55 n. Chr. entstandenen, an Kaiser Nero
(37-68 n. Chr.) gerichteten Denkschrift „Über die Milde“ {De clementia) stellte er
eine Verbindung zwischen Bienen und Menschen her und plädierte sogar explizit für
eine Orientierung an Bienengemeinschaften.76 „Schämen sollte man sich, von klei-
nen Tieren Sitten nicht zu übernehmen, weil der Menschen Seele desto mehr selbst-
beherrscht sein muß, je heftiger sie schadet.“77 Für seine zentrale Argumentation,
wonach sich ein menschlicher Herrscher vor allem durch Milde und Maßhaltung aus-
zuzeichnen habe, wusste Seneca das Bienenbeispiel geschickt zu nutzen: Die Konfi-
gurationen von Bienenkönig und Bienenvolk verstand er als gleichsam naturrechtli-
che Rechtfertigung von monarchischen Hierarchien bei den Menschen.78 Entsprechend
sah er nicht nur in der Vorrangstellung, der körperlichen Größe und der Bedeutung
des Bienenkönigs eine Analogie zu menschlichen Herrschern, sondern auch in dessen
73 Sed inter omnia ea principatus apibus et iure praecipua admiratio, solis ex eo genere hominum
causa genitis. mella contrahunt [.. ,],favos confingunt [...], laborem tolerant, opera conficiunt, rem
publicam habent, consilia privatim quoque, al duces gregatim et, quod maxime mirum sit, mores
haben! praeter cetera, cum sint neque mansueti generis neque feri. Plin. nat. XI, 5 (4). Überset-
zung zitiert nach C. Plinius Secundus, Naturkunde XI, hg. König/Hopp, S. 25. S. dazu auch Borst,
Buch der Naturgeschichte, S. 1-37 sowie Olbertz, Illum admirantur, S. 110.
74 Nicolaye, Sed inter omnia, S. 124f.
75 Zur Bedeutung Senecas im Mittelalter und der ihm (fälschlich) zugewiesenen Schriften s. Mayer,
Seneca Redivivus sowie Torre, Seneca.
76 S. zur Schrift und zu Senecas politischer Philosophie Shofield, Seneca on Monarchy.
77 Pudeat ab exiguis animalibus non trahere mores, cum tanto hominum moderatior esse animus
debeat, quanto vehementius nocet. Sen. clem. 1,19,4. Übersetzung nach L. Annaeus Seneca, De
clementia, hg. Rosenbach, S. 76-77.
78 Natura enim commenta est regem, quod et ex aliis animalibus licet cognoscere et ex apibus [...].
Sen. clem. 1,19,2. Übersetzung: L. Annaeus Seneca, De clementia, hg. Rosenbach, S. 74-75. Ein
vollkommen anderes Bienengleichnis findet sich bei Seneca in Brief 84 der Epistulae morales.
Darin vergleicht er die von ihm eingeforderte Balance aus Lesen und Schreiben mit der Herstellung
von Honig durch Bienen. S. dazu De Rentiis, Der Beitrag der Bienen.