II.2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft
63
auch die Schlange, deren Gift den Menschen langsam zugrunde richte. Dabei bedien-
ten sich die Betrüger stets eines Lockmittels, um ihren schlechten Einfluss zu ver-
breiten, wie beispielsweise des süßen Honigs, mit dem auch Odysseus schon von den
lügnerischen Sirenen geködert worden sei.100
Diese beiläufige Gegenüberstellung erscheint beinahe als eine Ankündigung der
folgenden Ausführungen zu den Bienen.101 In Ergänzung seines Negativbildes von
Höflingen behandelt Gilbert im zweiten Teil des zweiten Briefes nämlich die positi-
ven Aspekte einer Kontrolle der Amtsträger. Ausgehend von der bona fama, dem
guten Ruf, nach dem jeder König strebe, thematisiert Gilbert Gerechtigkeit und Dis-
ziplin als wesentliche Aufgaben und auch Ziele des Herrschers. Nach Ausführungen
zum Vollzug der Gerechtigkeit, zu Gerichtsprozessen und Verhandlungen sowie
möglichen Hindernissen bei der Rechtsprechung geht Gilbert im siebten Abschnitt
auf den Gebrauch des „materiellen“, also des Richterschwerts ein. Er verdeutlicht,
dass weltliche Herrscher das Richterschwert empfangen, um durch die „Eindäm-
mung der Schlechtigkeiten“ mittels Rechtsprechung der „Kirche zu dienen und hel-
fend beizustehen“.102 Obgleich das Schwert zur Durchsetzung von Furcht und Diszi-
plin zu gebrauchen sei, habe jeder Herrscher Zurückhaltung zu üben.
Hier kommen endlich auch die Bienen ins Spiel: Sie vertrauen dem Bienenkönig
Herrschaft und Rechtsprechung, so Gilbert, stets „nach Kunstfertigkeit, nicht [aber]
nach Zufall“ an, also mit Voraussicht und Plan. Äußerlich sei der Bienenkönig vor
allem daran zu erkennen, dass er seinen Stachel nicht gebrauche. Dennoch würden
Bienen, die sich nicht an die gemeinsamen Gesetze hielten, bestraft. Insgesamt aber
zeichneten sich die Bienen durch ein tugendhaftes Benehmen gegenüber Unschuldi-
gen und vor allem durch ein gehorsames Verhalten gegenüber ihrem König aus.103
100 Guib. Torn. erudit. 11,1,12 (de comparatione adulationis et veneni), hier S. 57: Inde est, cpiod Ulixes
Syrenum evasitpericula, quoniam illecebris vanitatis opposuit virtutis remedia. [...] Sic decipit
horum malitia dum venenapropinant melle circumlita. Für eine Übersetzung s. Fürstenspiegel, hg.
Anton, S. 393.
101 Für einen Überblick zur Bienenallegorie bei Gilbert s. Molnar, Respvblica Apum.
102 Guib. Torn. erudit. 11,2,7 (de usu materialis gladii quem accipit judex ...), hier S. 75: gladium exe-
crant, ut in cohibendis malis quae manisfestefiunt ecclesiae serviant et ministrent [...]. Für eine
Übersetzung s. Fürstenspiegel, hg. Anton, S. 421.
103 Guib. Torn. erudit. 11,2,7, S. 75: Apes sub regibus etprinipibus suum exercent officium, et naturae
judicio quem digniorem et meliorem viderint eligentes, arte, non sorte, sibi suum committunt ala-
criter principatum. Qui autem in eis rex fuerit constitutus, accipit infulam principatus, excellens
in eis tarn levitate moveri quam proceritate membrorum. Habet autem spicula quibus tarnen non
utitur ad laesionem aliarum. Ibi nichilominus legitime corriguntur errata, et poenam impositam
sustinent apes quae non sequuntur legum et regum legitima instituta. Innocentibus autem moles-
tiam nullam faciunt, alienapatrimonia non diripiunt, sed constructos exfloribusfavosfingunt, mel
autem de humore rosato qui foliis insidet arborum ore collectum in certis cellis recondunt. Tantam
autem regi suo exhibent obedientiam et reverentiam ulprius non audeant campos patentes appe-
tere quam suum principem viderint volasse. Für eine Übersetzung s. Fürstenspiegel, hg. Anton,
S. 421-423. S. außerdem Molnar, Respvblica Apum, S. 110-113.
63
auch die Schlange, deren Gift den Menschen langsam zugrunde richte. Dabei bedien-
ten sich die Betrüger stets eines Lockmittels, um ihren schlechten Einfluss zu ver-
breiten, wie beispielsweise des süßen Honigs, mit dem auch Odysseus schon von den
lügnerischen Sirenen geködert worden sei.100
Diese beiläufige Gegenüberstellung erscheint beinahe als eine Ankündigung der
folgenden Ausführungen zu den Bienen.101 In Ergänzung seines Negativbildes von
Höflingen behandelt Gilbert im zweiten Teil des zweiten Briefes nämlich die positi-
ven Aspekte einer Kontrolle der Amtsträger. Ausgehend von der bona fama, dem
guten Ruf, nach dem jeder König strebe, thematisiert Gilbert Gerechtigkeit und Dis-
ziplin als wesentliche Aufgaben und auch Ziele des Herrschers. Nach Ausführungen
zum Vollzug der Gerechtigkeit, zu Gerichtsprozessen und Verhandlungen sowie
möglichen Hindernissen bei der Rechtsprechung geht Gilbert im siebten Abschnitt
auf den Gebrauch des „materiellen“, also des Richterschwerts ein. Er verdeutlicht,
dass weltliche Herrscher das Richterschwert empfangen, um durch die „Eindäm-
mung der Schlechtigkeiten“ mittels Rechtsprechung der „Kirche zu dienen und hel-
fend beizustehen“.102 Obgleich das Schwert zur Durchsetzung von Furcht und Diszi-
plin zu gebrauchen sei, habe jeder Herrscher Zurückhaltung zu üben.
Hier kommen endlich auch die Bienen ins Spiel: Sie vertrauen dem Bienenkönig
Herrschaft und Rechtsprechung, so Gilbert, stets „nach Kunstfertigkeit, nicht [aber]
nach Zufall“ an, also mit Voraussicht und Plan. Äußerlich sei der Bienenkönig vor
allem daran zu erkennen, dass er seinen Stachel nicht gebrauche. Dennoch würden
Bienen, die sich nicht an die gemeinsamen Gesetze hielten, bestraft. Insgesamt aber
zeichneten sich die Bienen durch ein tugendhaftes Benehmen gegenüber Unschuldi-
gen und vor allem durch ein gehorsames Verhalten gegenüber ihrem König aus.103
100 Guib. Torn. erudit. 11,1,12 (de comparatione adulationis et veneni), hier S. 57: Inde est, cpiod Ulixes
Syrenum evasitpericula, quoniam illecebris vanitatis opposuit virtutis remedia. [...] Sic decipit
horum malitia dum venenapropinant melle circumlita. Für eine Übersetzung s. Fürstenspiegel, hg.
Anton, S. 393.
101 Für einen Überblick zur Bienenallegorie bei Gilbert s. Molnar, Respvblica Apum.
102 Guib. Torn. erudit. 11,2,7 (de usu materialis gladii quem accipit judex ...), hier S. 75: gladium exe-
crant, ut in cohibendis malis quae manisfestefiunt ecclesiae serviant et ministrent [...]. Für eine
Übersetzung s. Fürstenspiegel, hg. Anton, S. 421.
103 Guib. Torn. erudit. 11,2,7, S. 75: Apes sub regibus etprinipibus suum exercent officium, et naturae
judicio quem digniorem et meliorem viderint eligentes, arte, non sorte, sibi suum committunt ala-
criter principatum. Qui autem in eis rex fuerit constitutus, accipit infulam principatus, excellens
in eis tarn levitate moveri quam proceritate membrorum. Habet autem spicula quibus tarnen non
utitur ad laesionem aliarum. Ibi nichilominus legitime corriguntur errata, et poenam impositam
sustinent apes quae non sequuntur legum et regum legitima instituta. Innocentibus autem moles-
tiam nullam faciunt, alienapatrimonia non diripiunt, sed constructos exfloribusfavosfingunt, mel
autem de humore rosato qui foliis insidet arborum ore collectum in certis cellis recondunt. Tantam
autem regi suo exhibent obedientiam et reverentiam ulprius non audeant campos patentes appe-
tere quam suum principem viderint volasse. Für eine Übersetzung s. Fürstenspiegel, hg. Anton,
S. 421-423. S. außerdem Molnar, Respvblica Apum, S. 110-113.