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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0094
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II.4. Eine Region erzählen: Personen, Orte und Räume im „Bienenbuch'

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sind Anmerkungen wie retulit mihi quidam/quctdctm ..., die auf einen Dialog als
unmittelbaren Informationsursprung des Erzählten und gegebenenfalls die Infor-
manten verweisen.218 Hinter dieser Erzählform sind mehrere Beweggründe zu erken-
nen - die Erhöhung der Authentizität des Berichteten, die Suggestion einer gewissen
Qualitätssicherung sowie die Schaffung eines unmittelbaren Zugangs zum Erzählten
über den Erzähler. Indem Thomas von Cantimpre die meisten Geschichten mit seiner
Person gleichsam als einem Knotenpunkt der Informationsvermittlung verband, ver-
lieh er dem Erzählten nämlich ein erhöhtes Maß an Glaubwürdigkeit und Plausibili-
tät: Stets ist es Thomas selbst, der die betreffenden Episoden entweder selbst erfahren
oder von glaubwürdigen Gewährsleuten zugetragen bekommen hat,219 und natürlich
soll die Nennung eigener Erfahrungen und sogar Nachforschungen dem zusammen-
getragenen Erzählgut Beweiskraft und Nachvollziehbarkeit verleihen.220
Dies gelingt jedoch nicht immer in gleichem Maße. Wenn man beispielsweise
liest, dass eine Reliquie des Heiligen Theodulf natürlich nur deshalb aus Trier zu den
Dominikanern nach Löwen kam, weil Thomas selbst die rechte Hand der unversehr-
ten Leiche des Heiligen während eines Besuches in Trier abgeschnitten habe, ist das
narrativ nicht eben originell.221 Weitaus unterhaltsamer, da lebensnaher und zugäng-
licher, sind hingegen die Ratschläge, die der Seelsorger Thomas seinen sündigen
Schäfchen gibt. Eine der beeindruckendsten Episoden aus diesem Erzählbereich the-
matisiert den Umgang mit sexualisierter Gewalt, die in den Exempeln des „Bienen-
buchs“ einen großen Stellenwert einnimmt. Thomas von Cantimpre berichtet von
einer jungen Frau, die sich in Brüssel unter Tränen an ihn wendet, weil sie einem
zudringlichen Priester in Notwehr die Nase blutig geschlagen hatte. Als sie klagt, sie
wisse nicht, wie sie ihre Untat sühnen könne, beweist der Beichtvater nicht nur Fein-
gefühl für die delikate Situation, sondern auch Sinn für Humor sowie als Autor
218 S. beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA 1,3,5: Consimilis in malitia, ut mihi frater altioris ordinis
et vite retulit', ebd. 11,1,7: Idem qui supra abbas venerabilis aliud mihi retulit, quod ipse vidit, ebd.
11,3,9: ... quedam reclusa sanctissima, ut mihi ipsa retulit', ebd. 11,57,54: Retulit mihifraterpius et
bonus, qui hoc ipsum ab ore Uhus percepit, quod annis paucissimis ante mortem desiderium ma-
gnum habuerat, ut super statu suo, cui ut proprium est bonarum mentium, non modice metuebat,
a Domino solaretur. S. hierzu auch Bozöky, L’oralite monastique sowie Polo de Beaulieu, Traces
d’oralite.
219 S. hierfür beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA 11,40,3, wo Thomas eine Geschichte wiedergibt,
die er auf einer Reise von einem Reisegefährten erfahren haben will (... ut fratris Dacii boni et
beati viri de ordine predicatorum, cum eo de Parisius remeans, certissima relatione didici).
220 Charakteristisch ist dabei der Verweis auf eine „höchst glaubwürdige“ oder „höchste wahrhaftige“
Quelle, welche die Grundlage für Thomas’ Bericht bildet. S. beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA
11,35,6 (... comes quidam iustissimus iudex, ut certissima relatione didicimus, in proprium filium
et unicum tale iudicium fecit) oder ebd. 11,57,8 (Vidimus in villa Nivellie virginem Deo dignam, de
qua verissime narrabatur mortuis parentibus in domo fratris militis relicta est.).
221 S. hierzu Thom. Cantimpr. BUA 11,53,2: Depermissione vero civium manum ei dexteram, quam in
sacrificio corporis Christi vivens extenderat, mox abscidi et in Lovanium fratribuspredicatoribus
dedi.
 
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